1049 - Der Geist des Vaters
versuchst, würdest du daran zerbrechen.«
»Irrtum. Ich fühle mich stark genug. Ich will und werde nicht zerbrechen.«
Die Statue schwieg.
Ich ließ ihr Zeit. Als sie mir zu lang wurde, stellte ich die nächste Frage. »Hat der Geist meines Vaters bereits einen neuen Körper gefunden? Wenn ja, wo kann ich ihn finden? Oder ist er ein Schatten? Ist er zu einem dieser bösen Engel geworden?«
»Frag nicht weiter!«
»Doch!«
Die öligen Augen bewegten sich. Das sah ich sehr deutlich. Und wieder schoß eine heiße Lohe durch meinen Körper, denn ich dachte daran, wie sich die Augen meines Vaters verändert hatten, als er gestorben war, und wie es dann noch zu einem Austausch der Gesichter gekommen war. Da war mein Vater mit meinem Gesicht zu sehen gewesen und ich mit seinem.
Die gleichen Augen wie damals. Augen, die ich stark gehaßt hatte und auch jetzt noch haßte.
»Du bist ein Rest«, sagte ich leise. »Ein verdammter Rest. Du bist nicht mehr der Lalibela aus alter Zeit. Du hast einen großen Teil deiner Machtfülle eingebüßt. Wahrscheinlich versuchst du nur noch, deine Diener beisammenzuhalten. Es gibt die Loge. Mein Vater hat ihr angehört, aber es müssen noch mehr Menschen gewesen sein. Deshalb will ich von dir wissen, wer noch dazu gehört. Ich möchte Namen erfahren. Ich will sie besuchen und mit ihnen über meinen Vater reden. Für mich sind die Rätsel längst nicht gelöst. Wissen alle aus der Loge, daß es dich als Statue gibt? Ist es das, was sie verehren, unter Umständen sogar noch pervertieren, indem sie es anbeten? Rede, das kannst du…«
»Ich werde nichts verraten. Es war ein Fehler, daß die Statue von den falschen Menschen gefunden wurde. Sie war dafür nicht gedacht, das kannst du mir glauben.«
Ich lachte scharf auf. »Für wen war sie denn gedacht?«
Schweigen, das mich sauer und wütend machte.
»Wer hat sie finden sollen?«
Seine Lippen zuckten wieder. »Es gibt noch andere als deinen Vater.«
»Wer?« schrie ich.
Keine Antwort. Ich hatte einen Punkt erreicht, der so etwas wie eine Mauer bildete. Nichts sagte er mehr. Da hatte er die Grenze aufgebaut, und ich suchte verzweifelt nach einer Idee, wie ich ihn aus der Reserve locken konnte.
Der Blick in die Augen. Es waren düstere, kleine Teiche mit einer ölig schimmernden Oberfläche.
Wahrheiten sah ich dort nicht. Alles blieb starr und still.
Ich holte durch die Nase Luft. Das Schnaufen hatte auch die Statue gehört, und wieder verzogen sich die Lippen in die Breite. Er lächelte mich bestimmt nicht an. Es war mehr ein Grinsen.
Obwohl ich von meinen eigenen Worten nicht überzeugt war, sprach ich ihn an. »Eines soll gewiß sein. Ich bin in der Lage, dich zu vernichten, auch wenn der Geist des Lalibela in dir steckt. Niemand ist völlig unsterblich. Und bei dir wird selbst die Erinnerung ausgelöscht werden.«
»Was macht dich so sicher?«
»Ich habe das Kreuz!«
»Das weiß ich.«
»Hast du seine Macht gespurt?«
Er sagte nichts. Auch die Augen veränderten sich nicht. In ihnen entdeckte ich keine Spur von Furcht, doch ich war mir sicher, daß er nachdachte. Der Geist des alten Königs war nicht dumm. Ich hatte durch den Kontakt mit meinem Kreuz die Gesichtszuge des Lalibela hervorgeholt, denn ansonsten war der Kopf nur eine glatte Fläche gewesen.
Nun sah es anders aus!
»Du mußt sie gespurt haben!« flüsterte ich. »Auch wenn du es nicht zugeben willst. Es ist nur ein Teil der Kraft, die in diesem Kreuz existiert, die große Macht habe ich bewußt noch in Grenzen gehalten. Sie wird aber bald hervorbrechen. Mit einer Gewalt, die dich hinwegfegen kann wie ein Sturmwind und…« Ich unterbrach mich selbst mitten im Satz und zog das Kreuz zurück.
Jetzt war der Kontakt gelöst.
Das Gesicht der Figur behielt ich unter meiner Kontrolle. Mit ihm passierte genau das, das ich mir vorgestellt hatte. Die menschlichen Merkmale verschwanden. Mund, Nase und Augen zogen sich zurück, als wären sie von einer unsichtbaren Hand vernichtet oder einfach in den Kopf hineingepreßt worden.
Wieder lag die Statue so vor mir wie ich sie im Keller meines Hauses gefunden hatte.
Ich betrachtete das Kreuz. Klar, es sah wieder normal aus. Die Buchstaben an den Enden glühten nicht mehr. Die Kraft der Engel hatte sich zurückgezogen.
Ich mußte mir einfach eine Pause gönnen. Durch das lange und angespannte Sitzen war meine Haltung verkrampft. Deshalb schob ich den Stuhl vorsichtig zurück und stand auf.
Mit kleinen Schritten ging
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