1049 - Der Geist des Vaters
verfolgen. Das Gesicht der Statue erhielt ein eigenes Aussehen. Augen, Mund und Nase kehrten zurück, und ich entdeckte nicht die geringste Abweichung darin. Es war alles wie beim erstenmal.
»Du kannst mich hören?« fragte ich.
»Deine Stimme ist laut genug.«
»Gut, ich gebe dir noch eine Chance.«
»Warum?«
»Das werde ich dir erklären. Ich weiß, daß eine falsche Person deine Statue gefunden hat. Abgesehen davon, daß sie es mit ihrem Leben bezahlt hat, gehe ich davon aus, daß die richtige Person noch hier erscheinen wird, um die Statue abzuholen. Ich möchte von dir wissen, wer diese verdammte Person ist.«
»Nein…«
Ich gab der Figur noch eine letzte Chance. »Gehört sie zur Loge? Kenne ich sie vielleicht…?«
Der Mund grinste nur.
Ich wußte Bescheid. »Also gut«, sagte ich leise und trotzdem sehr gut verständlich. »Du hast es nicht anders gewollt. Deshalb wirst du jetzt die Konsequenzen tragen müssen. Ich habe gedacht, dich zu einer Zusammenarbeit überreden zu können. Wie ich jetzt sehen muß, klappt das nicht. Derjenige, der hier erscheinen wird, um die Statue abzuholen, wird in jedem Fall kommen. Ob du nun noch vorhanden bist oder nicht. Er wird hier erscheinen, und ich werde ihn erwarten.« Ich faßte nach rechts und bekam mein Schwert zu fassen. Langsam hob ich es an und drückte es über die Tischkante hinweg.
Es schwebte jetzt über der Statue. Wenn ich zuschlug, konnte ich sie der Länge nach teilen.
Noch tat ich es nicht. Ich schaute an der Klinge vorbei auf das Gesicht mit den dunklen Augen. »Es ist die letzte Chance, überlege es dir gut…«
Ich hatte es ernst gemeint und hoffte, daß dies auch von der Statue begriffen worden war. Leider nicht, denn ich erhielt keine Antwort. Auch die Augen hatten ihren Ausdruck nicht verändert. Angst oder Unbehagen entdeckte ich dort nicht.
»Nicht…?«
Schweigen!
Es war soweit. Ich hob das Schwert etwas an und stemmte mich zugleich von der Sitzfläche hoch.
Irgendwie bedauerte ich es, aber es gab keine andere Möglichkeit. Dieser Lalibela sperrte sich. Das war nicht hinzunehmen.
Den Kontakt mit dem Kreuz ließ ich bestehen. Lalibela mußte wohl die letzte Entschlossenheit in meinen Augen entdeckt haben, denn plötzlich gab er nach.
»Laß es sein. Ich werde sprechen…«
***
Das war für mich ein Glücksmoment, denn mir fiel wirklich eine große Last vom Herzen. Ich atmete zunächst tief durch und merkte nun, wo die Spannung in mir etwas nachgelassen hatte, das Gewicht der schweren Waffe. Sie zog meine Arme nach unten. Ich mußte mich überwinden, das Schwert zur Seite zu drücken und es letztendlich doch nicht auf die Figur fallen zu lassen. Es fand wieder seinen alten Platz und wurde von der Tischkante abgestützt.
»Es ist gut, daß du dich entschieden hast, mit mir zusammenzuarbeiten. Du mußt endlich einsehen, daß es Menschen gibt, die noch stärker sind als du.«
Er lächelte.
Ich nahm es als Aufforderung hin, die erste Frage zu stellen. »Wer wird hier erscheinen?«
»Eine Person.«
Mist. Das »paßte« mir schon. »Wer ist es? Ein Mann oder eine Frau, verdammt?«
»Das weiß ich nicht.«
»Aber die Person steht auf deiner Seite und gehört auch zu deiner Loge?«
»Ja, sie ist vertraut.«
»Gut. Machen wir weiter. Wann wird sie kommen?«
»In der Nacht.«
»In der heutigen?«
»So war es verabredet.«
Verdammt, da hatte ich Glück gehabt, denn die paar Stunden würde ich auch überstehen. »Kann es sein, daß ich diese Person kenne?«
»Möglich ist alles.«
Ich grinste schief. »Das ist mir eigentlich zu wenig. Aber ich werde dir vertrauen und auch diese Nacht hier abwarten. Danach sehen wir dann weiter. Solltest du mich belogen haben, werde ich keine Gnade kennen und dich vernichten. Hast du verstanden?«
»Ja, natürlich. Es gibt nur schwarz oder weiß. Und nichts dazwischen.«
»Sehr gut.«
»Hast du auch einen Plan?«
Ich ging auf die Frage nicht ein. »Kennt diese Person das Haus meiner verstorbenen Eltern?«
»Sie weiß Bescheid.«
»Und weiß sie auch, wo sie zu suchen hat?«
»Sie wird mich finden.«
Die Antwort gefiel mir diesmal. Demnach war es eigentlich egal, wo sich die Statue aufhielt. Ob hier in der Küche, in der ersten Etage oder unten im Keller. Ich entschloß mich, sie in das Arbeitszimmer meines Vaters zu legen und dort auf den Abholer zu warten. Das war auch sehr bequem.
»Hast du dich entschlossen?«
Ich stand auf. »Ich bin es gewohnt, meine Versprechen zu halten. Ich
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