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105 - Das indische Tuch

105 - Das indische Tuch

Titel: 105 - Das indische Tuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edgar Wallace
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der Treppe, und als er zufällig einen Blick nach oben warf, bemerkte er Lady Lebanon, die der Inspektor nicht sehen konnte.
    Sie kam die Treppe herunter, ruhig und selbstsicher. Die dunklen Schatten unter ihren Augen bestätigten allerdings in gewisser Weise die Angaben ihrer Zofe. Aber wenn sie auch die ganze Nacht nicht ausgeruht hatte, klang doch ihre Stimme so fest und gelassen, als ob nichts die Ruhe und den Frieden dieses Hauses gestört hätte.
    »Haben Sie alles, was Sie brauchen, Mr. Tanner? Kelver, sorgen Sie dafür, daß der Chefinspektor alle Dienstboten fragen kann, und unterstützen Sie ihn so gut wie nur möglich. Bringen Sie übrigens Ihre Untersuchung heute noch zum Abschluß?«
    Sie stellte diese Frage anscheinend gleichgültig, während sie zu ihrem Schreibtisch ging und die Briefe durchsah, die mit der Post angekommen waren.
    »Das glaube ich kaum«, entgegnete der Inspektor.
    Er beobachtete sie scharf. Sie war ein Typ, den er noch nicht kennengelernt hatte. Drohungen machten keinen Eindruck auf sie, und sicher ließ sie sich ebensowenig durch Versprechungen beeinflussen.
    »Ich habe Zimmer für Sie im Gasthof bestellt, es ist ein sauberes, gutes Haus. Allerdings habe ich von dem Dorfpolizisten gehört, daß einer Ihrer Beamten dort ein recht gefährliches Erlebnis hatte.«
    Er nickte.
    »Sie haben mir doch die Erlaubnis gegeben, das ganze Haus zu durchsuchen?«
    »Gewiß. Brooks wird Sie herumführen.« Sie stand nachdenklich an ihrem Schreibtisch. »Der Mann scheint im Park ermordet worden zu sein.«
    Tanner sah sie erstaunt an.
    »Der Mann?« wiederholte er fragend.
    Sie wandte ungeduldig den Kopf zu ihm.
    »Ja, Mr. Amersham.«
    Dies war allerdings eine Frau, die nicht wie andere behandelt werden konnte. Für sie war Amersham eben nur »der Mann«.
    »Ja, er wurde im Park ermordet«, pflichtete Tanner bei, als er sich von seiner Verwunderung erholt hatte. »Das ist sehr wahrscheinlich, da hier im Haus niemand etwas davon gehört hat.«
    Sie nickte langsam.
    »Es wäre interessant, wenn Sie das herausfinden würden.«
    Sie drückte auf eine Klingel, und gleich darauf trat Brooks ein.
    »Zeigen Sie Mr. Tanner das Haus.«
    16
    »Wann werden die Polizeibeamten wohl das Haus wieder verlassen?« fragte Lady Lebanon den Butler, als sie allein waren.
    »Ich habe den Eindruck, daß sie ziemlich lange bleiben«, entgegnete er. Als sie Miene machte, nach oben zu gehen, fügte er schnell hinzu: »Mylady werden verzeihen, aber ich muß noch über eine unangenehme Sache sprechen. Wirklich, es tut mir aufrichtig leid, daß ich es sagen muß. Morgen haben wir Ende des Monats, und ich möchte mit allem nötigen Respekt meinen Dienst kündigen.«
    Sie zog die Augenbrauen hoch, obwohl sie erwartet und gefürchtet hatte, daß das kommen würde.
    »Mylady wissen ja selbst, welche merkwürdigen Dinge hier passiert sind«, fuhr er nervös fort. »Dadurch ist Marks Priory der Öffentlichkeit leider aufgefallen.«
    Merkwürdigerweise konnte sie seine Aufregung und seine Gründe verstehen.
    »Aber eigentlich berührt die Sache Sie doch wenig«, erwiderte sie liebenswürdig.
    »Verzeihen Sie, Mylady. Ich verstehe wohl, daß vor allem Mylady und der junge Lord empfindlich betroffen werden, aber in gewisser Weise habe auch ich darunter zu leiden. Während meiner langen Dienstzeit bin ich noch nie mit solchen Affären in Berührung gekommen.«
    »Nun gut, Kelver. Es wird schwer sein, einen Ersatz für Sie zu finden, und ich lasse Sie ungern gehen.«
    Er senkte leicht den Kopf. Er war von ihren Worten überzeugt und in gewisser Weise dankbar, daß sie seine Dienste offen anerkannte.
    »Wo ist Lord Lebanon?« fragte sie.
    »In seinem Zimmer, Mylady. Vor kurzem kam er aus dem Park zurück.«
    »Sagen Sie ihm, daß ich ihn sprechen möchte.«
    Kurz darauf kam Willie. Er war ein wenig verstört und schien sich vor seiner Mutter zu fürchten. Trotzdem versuchte er, selbstbewußt und zuversichtlich aufzutreten.
    »Das ist doch eine ganz entsetzliche Geschichte –«, begann er.
    »Willie, wohin bist du heute morgen gefahren?«
    Er feuchtete die Lippen an.
    »Zur Stadt.«
    »Und wohin bist du dort gegangen?«
    Er wollte lächeln, aber es gelang ihm nicht.
    »Ich habe Scotland Yard besucht«, entgegnete er verbissen.
    »Warum?«
    Er konnte sie nicht ansehen, als er antwortete, und das Sprechen fiel ihm schwer.
    »Es passieren Dinge in diesem Haus, die ich nicht verstehe; ich fürchte mich, und – verdammt noch mal, ich wollte

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