1050 - Die Nymphe und das Monster
gut.« Ich nahm die entgegengestreckte Hand gern als Hilfe, und Grace Felder schüttelte den Kopf, als ich auf den Beinen stand.
»Das ist wirklich im letzten Augenblick gewesen. Du warst ja wie von Sinnen. Wie fühlst du dich jetzt?«
»Ich habe kalte und nasse Füße. Wahrscheinlich werden sie bald zu Eis.«
»Das läßt sich ertragen. Das andere nicht.«
Ich mußte mich einer Antwort enthalten und schaute Grace nur fragend an. »Was ist überhaupt genau geschehen?«
»Du wolltest in den Teich«, flüsterte sie und wunderte sich, daß ich überhaupt eine derartige Frage gestellt hatte.
»Ja, das ist mir schon klar.« Ich drehte mich zu ihm hin. Die Wasserfläche hatte sich noch nicht beruhigt. Sie war an verschiedenen Stellen mit zahlreichen kleinen Strudeln bedeckt. Wellen liefen auf das Ufer zu.
»Zu ihnen, John.«
Ich nickte. Allmählich wurde mir bewußt, was ich getan hatte.
»Du meinst die Nymphen?«
»Klar.«
»Sie haben gesungen, Grace. Ich habe ihren Gesang genau gehört. Ich kann ihn nicht beschreiben, aber er war auf seine Art wunderbar und faszinierend. Er hat mich angetörnt. Er reizte mich. Ich konnte einfach nicht anders, das mußt du verstehen. Dieser Teich hat sich geöffnet. Er hat mir sein Geheimnis…«, ich brach ab und hob die Schultern. »Danke«, flüsterte ich den beiden Frauen zu.
»Danke, daß ihr mich gerettet habt. Ohne euch läge ich jetzt auf dem Grund.«
»Bei den Nymphen.« Ich schüttelte den Kopf. »Verdammt noch mal, das ist wie in einem Märchen.«
»Aber in einem bösen, John.«
Madge übernahm das Wort. Sie war dabei dicht an mich herangetreten und fuhr mit der flachen Hand über meine Schulter. »Es ist alles gutgegangen, aber du hast Glück gehabt. Man darf die alten Sagen wirklich nicht unterschätzen. Sie sind oft genug wahr. Hier hat mir niemand geglaubt, aber man muß nur die Geschichte mit offenen Augen lesen, dann weiß man Bescheid.«
Ich zuckte die Achseln. »Dank euch ist es gutgegangen. Beim nächstenmal werde ich mich vorsehen.«
»Es wird kein nächstes Mal geben«, sagte sie leise.
»Warum nicht?«
»Die Zeit ist reif. Der alte Götze hat das Gute vertrieben. Ihm gehört dieses Gebiet wieder. Die Kirche hat keinen beschützenden Einfluß mehr. Menschen haben sich selbst die Falle gebaut, in dem sie den Altar aufgestellt haben. Sie hätten ihn nicht aus dem Boden holen sollen. Es war ein Fehler. Aber Menschen sind manchmal schlimm. Sie haben sich den Altar in ihre Kirche gestellt, obwohl dort das Blut zahlreicher Gerechter geflossen ist. Sie haben nicht auf die Warnungen hören wollen.« Madge ballte die Hände zu Fäusten.
»Immer und immer wieder habe ich es ihnen gesagt. Ich habe sie auch gewarnt. Mit beinahe jedem Bewohner habe ich gesprochen, doch man schaute mich nur an und lachte. Man nahm mich gar nicht zur Kenntnis…«
Ich unterbrach sie, weil ich nicht wollte, daß sie nur von der Vergangenheit erzählte. Wichtig waren die Dinge, die jetzt passierten oder noch geschehen würden. »Was wird geschehen, und was ist schon alles passiert? Kannst du mir das sagen?«
»Er wird zurückkommen.«
»Der Pfarrer?«
»Ja, natürlich. Er hat sich geopfert.« Sie schüttelte den Kopf.
»Nein, er ist zu einem Opfer geworden, weil er nicht auf mich gehört hat. Ich habe es ihm so deutlich gesagt. Nun ist es zu spät. Wir werden ihn wiedersehen. Davon bin ich überzeugt.«
Meine Füße wurden allmählich zu Eisklumpen. Ich trat einige Male auf der Stelle, um die Durchblutung in Gang zu halten. »Du meinst also, daß er zurückkehrt?«
»Es gibt keine andere Möglichkeit, John. Er kehrt zurück und wird das tun, was man von ihm verlangt.«
»Das wäre?«
»Tut mir leid«, flüsterte Madge, »ich kann es dir nicht sagen. Ich weiß es selbst nicht. Die Rituale sind zu alt. Sie sind in Vergessenheit geraten. Niemand hat sie aufgeschrieben. Sie sind versteckt und verklausuliert in den alten Märchen und Legenden, die sich die Menschen hin und wieder erzählen. Du kennst sicherlich auch die Geschichten aus prähistorischer Zeit.«
»Dann werden wir erleben, wenn wir bleiben, daß sich hier alles verändert. Zuerst nur hier nahe der Kirche. Aber es wird weitergehen, davon bin ich überzeugt. Das Gebiet hier gehört ihnen. Hier haben sie damals gelebt. Sie werden es auch jetzt noch als ihr Eigentum betrachten.«
»Auch die Menschen?« fragte Grace Felder.
»Ja, auch sie. Gerade sie, denn sie gehören dazu. Ich glaube nicht, daß sie eine Chance
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