1050 - Die Nymphe und das Monster
der sich nicht beirren ließ, auch nicht von den Worten der alten Kräuterhexe, die noch immer ihre Gebete oder Zaubersprüche sprach.
Grace Felder schüttelte den Kopf. Sie war bleich geworden und hatte die linke Handfläche gegen ihre Wange gelegt. Sie konnte es nicht begreifen, und auch ich wußte keine Erklärung für das, was da den Teich verließ.
Der Götze!
Nicht so riesig, wie man vielleicht hätte meinen können. Er war eine braune Gestalt, dabei völlig nackt, und das Teichwasser rann über seine Haut hinweg. Aus seinem Rücken hervor wuchsen tatsächlich Flügel. Gewaltige Dinger, die aussahen wie Stein und die Form eines großen Bogens besaßen. Sie steckten in seinen Schulterblättern fest, wobei aus dem Rücken selbst noch lianenförmige Gegenstände wie Schläuche oder Schlangen nach unten hingen. Seine Arme waren lang und kräftig. Er hatte sie angewinkelt und zudem ausgestreckt. Darauf lag eine Nymphe, die mehr einer leblosen Puppe glich.
Auch sie war nackt. Mehr hatten die beiden nicht gemeinsam.
Ansonsten waren sie einfach zu unterschiedlich. Die Nymphe mit ihrem zarten Körper, dem kleinen Kopf, auf dem sehr helles und nicht einmal langes Haar wuchs. Das Gesicht sahen wir nicht, weil es von den Armen der Gestalt verdeckt wurde.
Noch blieb der Unheimliche im Teich stehen. Es kam uns so vor, als müßte er sich zunächst orientieren.
Madge hatte aufgehört zu beten. Sie konzentrierte sich jetzt auf das unheimliche Bild. »Er ist es, sage ich euch. Er ist der Veränderte, aber wir kennen ihn.«
»Du meinst damit den Pfarrer?«
»Richtig, John. Der Götze ist der Pfarrer. Beide sind eine Person. Der Pfarrer hat nicht auf mich gehört. Er ist ein Opfer der alten Magie geworden. Der alte Gott hat nicht nur innerlich für seine Gefangenschaft gesorgt, sondern auch äußerlich. Er hat ihn nach seinem Ebenbild geformt.« Sie schüttelte bei ihren Worten den Kopf. »Nein, das ist nicht richtig. Das stimmt nicht. Er hat ihn nicht nur nach seinem Ebenbild geformt. Der Pfarrer ist er, und der Götze ist der Pfarrer. So muß man es sehen. Wenn du ihn mit dem Namen Don Carmacho ansprichst, wirst du immer richtig liegen, aber er wird nicht mehr darauf hören, weil er sein Menschsein und alles, was damit zusammenhängt, verloren hat. Er ist nur noch der Götze, der alte Keltengott, der hier einmal vor langer Zeit sein Reich gehabt hat.«
Grace und ich hatten Madge zugehört. Wir glaubten der Kräuterhexe. Es gab keine andere Lösung für uns, auch wenn diese noch so unwahrscheinlich war.
»Kannst du uns auch sagen, was er jetzt vorhat?«
Madge nickte mir zu. »Ja, er wird weitermachen. Er hat noch nicht alles unter Kontrolle. Etwas fehlt ihm.«
»Die Kirche!« stieß Grace hervor.
»Richtig. Sie und der Blutaltar. An ihn wird er sich besonders gut erinnern können. Die Menschen haben ihm damals dort ihre Opfer gebracht, und das wird sich wiederholen.«
»Dann könnte er mit der Nymphe beginnen«, sagte ich leise.
»Ich denke auch, daß er mit ihr den Anfang machen wird. Nur wird es nicht dabei bleiben. Er wird sich die Menschen holen. So viele, bis sein Hunger gestillt ist.«
Düstere Aussichten, das stand fest. Nur nahm ich mir vor, es nicht so weit kommen zu lassen. Wir mußten ihn stoppen, bekämpfen und schließlich vernichten.
Madge hatte meine Gedanken erraten. »Es wird schwer für uns werden, John, auch für dich.«
»Das befürchte ich.«
»Sollen wir versuchen, das Dorf zu evakuieren?« flüsterte Grace scharf.
»Nein, es wird keinen Sinn haben.« Madge schüttelte den Kopf.
»Die Leute würden nicht auf dich hören.«
»Was sollen wir denn dann tun?«
»Abwarten. Wir werden ihn machen lassen. Oder hast du eine andere Idee, John?«
»Leider nicht.«
»Das sieht nicht gut aus«, murmelte Grace. »Nein, das sieht nicht gut aus.« Auf ihrem Gesicht zeichnete sich die Furcht ab. Wir drei warteten darauf, daß etwas passierte, denn ewig konnte das Monstrum nicht im Teich bleiben.
Das Wasser hatte sich wieder beruhigt. Letzte Wellen waren ausgelaufen. Aber es geriet wieder in Bewegung, als sich die mächtige Gestalt auf der Schwelle drehte. Da schwappten die Wellen wieder über. Es wurden mehr, denn der Götze verließ den Teich. Er ging schwerfällig, als wäre er unter der Last seiner mächtigen Flügel zusammengesackt. Die Nymphe trug er weiterhin auf seinen Armen.
Für ihn war sie eine kostbare Beute, die er nicht loslassen wollte.
Dann verließ er den Teich mit einem langen
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