1050 - Die Nymphe und das Monster
Seine Sinne waren sensibilisiert worden. Es schnüffelte und roch, ob das frühere Blut noch als irgendein Rest vorhanden war.
Ja, es stimmte. Es war der gleiche Altar, auf dem die Eichenkundigen ihm die Opfer gebracht hatten. Auch wenn er an Kraft verloren hatte, doch das würde anders werden.
Es war sowieso einiges bei ihm anders geworden, wie der Götze jetzt merkte. Er konnte denken und sich dabei auch etwas vorstellen. Doch er dachte teilweise wie ein Mensch. Es waren die Gedanken eines Mannes, der von ihm übernommen worden war.
Sie waren anders, neu und fremd. Gedanken eines Menschen, den er nicht ganz hatte ausschalten können, die ihn aber nicht stören durften. Noch trug er seine Beute auf den Armen. Ein schönes Kind, eine junge Frau. So wunderbar grazil. Geschaffen mit einem mädchenhaften Körper. Schlank und rank. Mit weichen, langen Schenkeln und kleinen Brüsten. Einem runden Gesicht, in dem sich die mädchenhaften Züge verewigt hatten. Weiche Linien, ein kleiner Mund und helle Haare, die auf dem Kopf wuchsen, aber ihn nicht als Strähnen umgaben.
Er drapierte sie so, wie er sie haben wollte. Er streckte ihre Beine aus und legte beide Arme so dicht an den Körper, daß sie ihn berührten. Dann streichelte er über das Gesicht hinweg und ließ seine braunen Finger in Höhe des Kinns liegen.
Er wartete und auch darauf, daß dieses neue Opfer seine Augen öffnete. Das Monstrum selbst starrte aus seinen gefühllosen Reptilienaugen auf die Person nieder, als wollte es ihr einen entsprechenden Befehl erteilen.
Es begann mit einem leichten Zucken der Haut um die Augen herum. Dann war es soweit.
Die Nymphe schaute ihn an, und der Götze starrte zurück.
Sie erschrak nicht. Sie lag einfach nur da. So zart, so zerbrechlich, denn sie wußte auch, daß sie gegen die Kräfte des anderen nichts ausrichten konnte.
Der Götze sprach, und er sprach mit einer menschlichen Stimme, die ihm selbst nicht gehörte, sondern einer Person, aus der er entstanden war. Es war die Stimme des Pfarrers, dem einmal die Kirche gehört hatte, und er nun als Monster wiedergeboren worden war.
»Du bist in meiner Gewalt. Ich bin derjenige, der das Blut auf dem Altar wieder fließen lassen will. Die alten Zeiten kehren zurück. Der Götze ist nicht tot. Er stirbt nie. Er wird ewig leben, wie auch immer. Er kann sich wandeln, er kann sich verwandeln, denn er ist großartig und wunderbar.«
Die Nymphe gab ihm keine Antwort. Sie zitterte. Sie schauderte.
Darauf nahm der Götze keine Rücksicht. Er hatte seine Welt verlassen und war hinein in die neue Zeit, um dort seine Zeichen zu setzen. Nichts konnte ihn davon noch abhalten.
Die Nymphe blieb stumm. Sie wirkte im Vergleich zum Körper des Veränderten noch zarter und hilfloser. Er war ihr in allen Belangen überlegen.
»Dein Blut wird den Altar schmücken«, prophezeite er ihr.
Gleichzeitig breiteten sich seine Flügel zu den Seiten hin aus. Er hob ein Bein an und stieg über den Altar hinweg. In dieser Haltung hätte er sich auf die Nymphe setzen können.
Er streckte die Arme aus.
Seine Hände waren kräftig und mit langen Fingern versehen.
Mordinstrumente, die über den Körper der Nymphe strichen, sich aber immer mehr ihrer Kehle näherten und sich darum legten.
Dann drückte er zu, und seine Finger waren dabei wie Lanzen!
***
Wir hatten uns sehr leise bewegt, was draußen leicht war. Innerhalb der kleinen Sakristei jedoch nicht, denn dort war es erstens dunkel, und zweitens lagen die umgeworfenen Möbelstücke im Weg, über die wir hinwegklettern mußten.
Der veränderte Don Carmacho hatte die Kirche längst erreicht.
Ich kam noch immer nicht darüber hinweg, daß aus einem Menschen ein finsterer und mordgieriger Götze werden konnte. Das wollte mir nicht in den Kopf. Ich hatte die Kraft dieser alten Keltengötter unterschätzt. Dabei brauchte ich nur an Aibon zu denken, in der auch sie ihre Heimat gefunden hatten. Ein Land, das zweigeteilt war. Auf der einen Seite Paradies, auf der anderen die Hölle. In thesophischen Überlieferungen wurde Aibon auch als das Fegefeuer bezeichnet, denn es hatte beim Sturz des Teufels zu Beginn der Zeiten viele seiner Diener aufgefangen. So war das Fegefeuer entstanden, während andere, noch schlimmere Engel in die ewige Verdammnis gestürzt worden waren.
Wahrheit, Dichtung, Phantasie. Hier mischte sich einiges zusammen. Nur daß ich immer das Pech hatte, oft genug mit diesen Dingen konfrontiert zu werden.
Ich hatte die Führung
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