1050 - Die Nymphe und das Monster
näherte sich ihm und dabei kam es ihm vor, als würde er zurück in die Vergangenheit schreiten, denn Erinnerungen strömten in ihm hoch.
Eine andere Zeit, die weit zurücklag. Nacht und Feuer. Mittendrin der Blutaltar, der von mehreren Druiden umtanzt wurde.
Auf dem Altar lag eine nackte Frau, das Opfer, das ihm, dem hier herrschenden Götzen, gebracht werden sollte. Da mußte das Blut eines Menschen fließen, sonst war er nicht zufrieden.
Er lebte in der Erde. Er war ein Gott der Tiefe und einer, der sich versteckte.
Die Druiden tanzten immer wilder, immer rasender um den Altar. Sie gerieten in eine Ekstase hinein, doch ihre Bewegungen waren gleich. Da fiel keiner aus der Rolle.
Und mit der ebenfalls gleichen Bewegung griffen sie unter ihre dunklen Kutten und holten die Waffen hervor.
Dolche aus Bronze. Schwere Waffen, die vom Schein des Feuers erfaßt wurden und deshalb noch schauriger aussahen. Mit den Waffen in den Händen traten sie dichter an den Blutaltar heran, so daß die darauf liegende junge Frau sie besser sehen konnte.
Sie nahm sie zur Kenntnis, aber sie reagierte nicht. Ihr Blick war stumpf. Der gesamte Körper wirkte erschlafft. Eine Folge des Tranks, der ihr eingeflößt worden war.
Im Hintergrund hatten sich andere Druiden zusammengefunden und begleiteten den Tanz mit wilden Trommelwirbeln. Sie spornten die Tänzer an, sie brachten sie dazu, alles andere zu vergessen, damit sie sich einzig und allein auf das Opfer konzentrieren konnten.
Die Schreie verstärkten sich. Immer wilder und lauter hallten sie in die Nacht hinein.
Und dann stießen sie zu.
Es war kurz zuvor der allgemeine Stopp erfolgt. Direkt aus der Bewegung heraus. Nur für einen Moment, rahmten sie den Blutaltar als starre Figuren ein.
Danach trafen die Messer!
Jeder stieß seine Waffe in den zuckenden Körper des Opfers.
Große Wunden entstanden, das Blut rann dick und träge hervor und verteilte sich in vier verschiedene Seiten. Es folgte der Statik des Steins, sickerte in die Ablaufrinne hinein, breitete sich dort aus wie ein schmaler, dunkler Bach und erreichte schließlich die Öffnungen an den Seiten. Dort fand es seinen Weg ins Freie, tropfte auf den Boden und wirkte dabei wie ein nie abreißender Strom.
Kaum hatte es den Untergrund berührt, da dampfte es auf. Der Kontakt wurde von leisen Zischgeräuschen begleitet, und zugleich rumorte es in der Tiefe.
Auch die Druidenpriester hörten es. Sie standen bewegunglos um den Altar herum. Lauschten gebannt, auf die Antwort ihres Götzen, der dieses Opfer annahm.
Der Boden um den Altar herum wirkte wie ein Schwamm. Er saugte jeden Tropfen auf, ließ ihn verschwinden wie in einem gewaltigen, unersättlichen und gierigen Maul.
Auf dem Altar lag die Tote. Sie blutete völlig aus, obwohl Leichen eigentlich nicht mehr bluten. Auf sie traf dieses Gesetz nicht zu. Das Blut wollte kaum aufhören. Es breitete sich auch kaum mehr auf dem Boden aus, es wurde geschluckt, und aus der Tiefe stiegen, wie zur Belohnung, düstere Wolken hoch.
Die Druiden waren zufrieden. Ihr Götze hatte das Opfer angenommen. Er war beruhigt. Er stand auf ihrer Seite, bis zum nächsten Opfer.
Die Druiden zogen sich aus der unmittelbaren Nähe des Altars zurück. Sie gingen vorsichtig, sich zum Altar hin verbeugend, aber sie wußten auch, daß diese Nacht noch nicht beendet war, und daß sie erst enden würde, wenn das große Fest vorbei war.
Nach jedem Opfer feierten sie zu Ehren des Götzen ein Blutfest, an dem alle Menschen aus der Umgebung teilnahmen, auch diejenigen, die nicht zum Kreis der Eichenkundigen gehörten.
Der Veränderte hatte den Altar erreicht. Seine Erinnerungen verblaßten. Die Vergangenheit schob sich wieder zurück. An ihre Stelle trat die Gegenwart.
Sie bestand aus dem Altar und aus den vier Kerzen, deren Flammen tanzten und ein völlig neues Muster über den Altar und den Boden warfen.
Das Monstrum trat erst in dieses Muster hinein wie ein mächtiger, kompakter Schatten. Wie eine Puppe trug es die junge Nymphe auf seinen Armen. Es ließ sie für einen Moment über den Altar schweben, dann wurde sie auf die Platte gelegt.
Das Monstrum war zufrieden. Eng lagen die mächtigen Flügel zusammen, die wie Platten aus dünnem, rostigem Eisen wirkten.
Der Blick kalter Reptilienaugen glitt über den jetzt besetzten Altar hinweg und suchte die Ränder ab.
Ja, die Rinnen waren noch da.
Der Kopf senkte sich ihnen entgegen, und das Monstrum fing an zu schnaufen und zu schnüffeln.
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