1053 - Die Rache der Geköpften
hinweg.
Mit zittrigen Schritten näherte sich Larissa der Tür, die weiterhin fest geschlossen war. Sie schaute auf dem Weg dorthin zu Boden, weil sie nach Spuren suchte. Aber sie fand keine.
Alles war weg.
Sie öffnete die Tür, wollte zuerst nicht in den Flur hineinschauen, als sie es tat, fand sie ihn leer. Siedendheiß schoß es ihr plötzlich durch den Kopf, daß sie ja von den beiden Polizisten angerufen werden sollte. Das war ihre einzige Chance. Sie wünschte sich, daß der Anruf in diesem Augenblick erfolgte, doch ihr Handy blieb stumm.
Außerdem ärgerte es sie wahnsinnig, daß sie keine Handy-Nummer der beiden wußte.
Es war einiges schiefgelaufen, und sie würde dafür büßen müssen, wenn das Schicksal nicht im letzten Moment noch eine Kehrtwendung machte. Aber danach sah es nicht aus.
Was nun folgte, tat sie rein automatisch. Es waren die Bewegungen, die ihr in Fleisch und Blut steckten. Sie zog den Mantel über, sie band sich den Schal um, als könnte er sie vor der mörderischen Schneide des Beils schützen.
Ihre Bewegungen führte sie langsam durch. Im Gesicht rührte sich nichts, bis auf die Bewegungen der Augen, denn sie wollte auf keinen Fall in die Blutlache treten.
Sie steckte den Schlüssel ein und verließ die Wohnung, ohne einen Blick zurückzuwerfen.
Den Aufzug ließ sie in Ruhe. Sie ging ganz normal die Stufen der Treppe hinab. Und doch nicht so normal, denn ihre Knie waren weich. Sicherheitshalber hielt sie sich am Geländer der Treppe fest.
Der Blick fiel auf ihre eigene Hand. Sie schauderte zusammen, als sie sah, wie bleich die Haut geworden war. Sie hätte auch zu einer Toten gepaßt, sogar besser als zu einer Lebenden.
Niemand kam ihr entgegen. Darüber war sie froh. Wer sie sah, hätte sie nach ihrem Aussehen gefragt, und Larissa wollte in ihrer Lage keine Erklärungen abgeben.
Vor der Haustür stehend schaute sich die Frau um. Sie schaute nach einem Hinweis auf ihren unheimlichen Verfolger, doch er war nicht zu sehen. Die Luft war rein.
Allerdings glaubte sie ihm mehr als der Umgebung. Was immer auch für Kräfte in Manski steckten, sie traute ihm einfach alles zu.
Auch eine Unsichtbarkeit. Genau aus diesem Grund hielt sich Larissa an die Regeln und näherte sich mit langsamen und steifen Schritten ihrem Astra, der am Straßenrand parkte.
Die Autoschlüssel steckten in der rechten Tasche des rehfarbenen Stoffmantels. Sie klimperten gegeneinander, als Larissa sie hervorholte und die Fahrertür aufschloß.
Kaum saß sie hinter dem Lenkrad, als sie sich fragte, ob sie überhaupt in der Lage war, zu fahren. In ihrem Zustand war sie so etwas wie ein Verkehrshindernis. Sie spielte auch mit dem Gedanken, bewußt einen leichten Unfall zu provozieren. Dachte dann nicht mehr darüber nach. Manski würde es bemerken und sich bestimmt grausam dafür rächen. Larissa wollte ihren Kopf behalten.
Der Astra war glücklicherweise nicht in eine Parklücke eingeklemmt worden, so brauchte sie nicht zu rangieren, um vom Bordstein wegzukommen.
Sie startete. Der Motor sprang sofort an. Bevor sie losfuhr, schaute sich Larissa um.
Nein, er war nicht zu sehen. Er hielt sich versteckt, zurück. Aber er war immer bei ihr, wenn auch nur in Gedanken. Er beobachtete sie.
Er hatte es geschafft, Grenzen zu überwinden. Manski konnte sich im Sichtbaren als auch im Unsichtbaren aufhalten. Für ihn existierten keinerlei Grenzen, denn er war den Menschen haushoch überlegen und hatte sich ihre Wunschträume erfüllt.
Larissa Larkin wußte nicht, wohin sie fahren sollte. Sie ließ den Wagen einfach die Straße entlangrollen und hoffte noch immer auf einen Anruf der beiden Geisterjäger.
Vergebens.
Auch der Verkehr kam ihr so feindlich vor. Normalerweise kümmerte sich Larissa nicht um ihn. Sie war eine gute Fahrerin und zudem in der Großstadt aufgewachsen. In ihrem Zustand sah sie jeden Wagen, der ihr entgegenkam oder sie überholte, als einen Feind an.
Immer häufiger rann ein kalter Angstschauer über ihren Rücken.
»Ich bin bei dir, keine Sorge. Fahr nach Westen. Sieh zu, daß du aus der Stadt kommst. Richmond upon Thames, das ist dein erstes Ziel, Larissa…«
Sie war bei den Worten zusammengeschreckt, obwohl sie damit hatte rechnen müssen. Der Frost auf ihrem Körper wollte einfach nicht weichen. Sie hatte das Gefühl, als wäre sogar das Blut dabei, allmählich einzufrieren und dicker zu werden.
»Hast du mich verstanden?«
»Ja, habe ich.«
»Dann schau neben dich.«
Larissa
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