1054 - Der mentale Sturm
an der vorderen Schmalseite des aus rohen Brettern mehr schlecht als recht zusammengezimmerten Schreins und hatte Kopf und Arme auf den schrägliegenden Holzdeckel gebettet.
„Warum tut er so etwas?" flüsterte Roi Danton.
„Ihn muß etwas mit Demeter verbinden", flüsterte Javier zurück. „Irgend etwas Psychisches, das wir nicht spüren können, weil unsere Psyche durch Erziehung und Anpassung verkümmert ist. Ein Kind in seinem Alter dagegen hat noch viel mehr Ursprüngliches in sich. Sein Gefühlsspektrum ist größer als das von Erwachsenen."
Er trat neben seinen Sohn und spähte durch den Spalt, den der schiefe Deckel freiließ, ins Innere des Kastens. Die exotische Schönheit von Demeters bronzefarbenem Gesicht berührte ihn eigenartig. Das wurde noch verstärkt, weil Demeters Augen geschlossen waren und ihre Haut einen porzellanbleichen Schimmer aufwies.
„Sie hat sich nicht verändert", sagte Danton neben ihm.
Oliver bewegte sich, dann schien er zu spüren, daß er nicht mehr mit Demeter allein war, denn er richtete sich schnell auf und drehte sich erschrocken um.
„Ihr dürft ihr nichts tun!" sagte er mit halberstickter Stimme.
Waylon Javier ging in die Hocke, zog seinen Sohn an sich und strich ihm über das blonde Lockenhaar.
„Niemand will Demeter etwas tun, Oliver", sagte er zärtlich. „Das ist doch Roi, Demeters Mann. Er wird niemals zulassen, daß Demeter etwas zustößt."
Olivers Augen wirkten wie tiefblaue, unergründliche Seen.
„Aber sie ist in Gefahr, Dad, ich spüre es. Etwas hat sich verändert.
Es ist alles so ... so unheimlich. Ich habe Angst, Dad."
Javier erhob sich und nahm seinen Sohn auf den linken Arm.
„Du brauchst dich nicht zu fürchten, Oliver. Bald sind wir auf Khrat. Komm, wir gehen in die Zentrale zurück. Ich sollte dort sein, weißt du."
„Ich bleibe hier", sagte Roi Danton. Er lächelte schwach. „Ehrlich gesagt, hat Olli-Bolli mich mit seiner Angst angesteckt. Deshalb möchte ich Demeter nicht allein lassen."
„Das verstehe ich", erwiderte Javier. „Soll ich einen Arzt schicken, Roi?"
Danton schüttelte den Kopf.
„Nein, danke, Waylon. Sie hat sich nicht verändert, seit ich sie gefunden habe. Nein, ein Arzt könnte gar nichts tun."
Waylon Javier nickte ihm verständnisvoll zu, dann trat er den Rückweg zur Zentrale an.
4.
„Wir haben immer noch keinen Kontakt mit Khrat", erklärte Sandra Bougeaklis, als Waylon Javier in die Zentrale zurückkehrte.
Der Kommandant setzte sich und musterte die Angaben auf seinem Computer-Bildschirm. Die Steuerpositronik erfüllte ihre Aufgabe, die BASIS so zu steuern, daß sie sich in einen stationären Orbit um den Zielplaneten „einfädelte".
„Hast du mich gehört, Kommandant?" erkundigte sich Sandra ungeduldig. „Khrat reagiert überhaupt nicht auf Deneides ständige Anrufe. Das ist doch nicht normal."
„Was ist nicht normal, Sandra?" fragte Javier, der sich nur mühsam dazu zwang, nicht ständig zu Oliver zu sehen, den er auf seinem Sitz angeschnallt hatte - und vor allem nicht ständig darüber nachzudenken, was seinen Sohn dazu veranlaßt haben konnte, an Demeters Behältnis zu wachen. Denn eines war ihm klar geworden: Oliver hatte Wache an Demeters Schrein gehalten, weil er fühlte, daß die Wyngerin in Gefahr schwebte.
„Du hörst mir wohl gar nicht zu, Waylon?" erwiderte Sandra.
Javier seufzte.
„Doch, ich habe alles gehört, Sandra. Du denkst, es sei nicht normal, daß Khrat unsere Anrufe nicht beantwortet. Ich dagegen denke, daß wir gar nicht beurteilen können, was für Khrat normal ist und was nicht."
„Aber vorsichtshalber sollten wir den Anflug vielleicht unterbrechen", sagte Sandra heftig.
Waylon Javier durfte sich nicht einfach über ihre Warnungen hinwegsetzen, dazu war seine Verantwortung für die BASIS und damit auch für die 12.260 Frauen und Männer an Bord zu groß.
Er fragte sich ernsthaft, ob seine Qualifikationen als Hyperphysiker, Astronom und Astrogator ausreichten, um fundiert beurteilen zu können, ob auf Khrat vielleicht etwas nicht stimmte, weil ihre Kontaktversuche ergebnislos blieben.
Schließlich brach er seine Überlegungen ab und sagte: „Wir wissen nichts über die Verhältnisse auf Khrat, aber wir wissen, daß der Dom Kesdschan und der Wächterorden der Ritter der Tiefe seit fast undenklichen Zeiten bestehen und daß sie diese Zeiten unbeschadet überstanden haben. Nichts weist darauf hin, daß ausgerechnet zur Zeit unserer Ankunft eine derart
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