1054 - Der mentale Sturm
nicht im Einsteinraum aus, Leejah", beruhigte Javier sie. „Andernfalls könnten sie die Galaxis Norgan-Tur zu Staub zerblasen - bildlich gesprochen. Beobachte bitte weiter! Wir setzen unseren Flug fort und erreichen in wenigen Minuten den Nordrand von Naghdal. Ende."
„Was bedeutet das nun wieder?" fragte Roi Danton beklommen.
Javier zuckte die Schultern.
„Ich kann es mir nicht erklären, Roi. Es gibt Vorgänge im fünf- und sechsdimensionalen Bereich, die sich größtenteils unserer Wahrnehmung und daher auch unserer Erforschung entziehen. Aber zweifellos sind beide Kontinua alles andere als schweigende Zonen."
„Können diese Vorgänge mit dem Dom Kesdschan im Zusammenhang stehen?" fragte Les Zeron.
„Das weiß ich doch nicht!" rief Javier verzweifelt und steuerte den Shift dicht über die Dächer der seltsamen Stadt hinweg. „Genauso gut hättest du mich fragen können, ob zwei Issjer einen Krander ergeben würden."
„Was, bitte, ist ein Issjer und was ist ein Krander?" fragte Zeron.
Er blickte sich wütend um, als alle anderen Raumfahrer in Gelächter ausbrachen.
*
Sie hatten sich nicht lange in der Stadt aufgehalten. Es gab dort niemanden, mit dem sie Kontakt aufnehmen konnten - oder sie hatten niemanden gefunden.
Die Gebäude, die sich äußerlich wie ein Ei dem anderen glichen, waren nicht verschlossen, und an der Vielfalt ihrer Einrichtungen ließ sich erkennen, daß sie für Intelligenzen zahlreicher verschiedener Völker gebaut worden waren. Kleine robotische Einheiten schwebten durch Korridore, krochen über Wände und Böden oder hatten sich an Maschinen angeschlossen, um sie zu warten. Sie wurden wahrscheinlich ferngesteuert. Die Versuche der Raumfahrer, ihnen Informationen zu entlocken, blieben erfolglos. Sie nahmen einfach keine Notiz von den Besuchern.
Als der Morgen graute, näherte sich der Shift dem Vorplatz des Domes. Die Raumfahrer blickten wie gebannt auf die riesige leuchtende Kuppel. Sie fragten sich, ob die Herren des Domes nun endlich Kontakt mit ihnen aufnehmen oder sie zurückweisen würden.
„Ich werde etwa hundert Meter vor dem Dom landen", teilte Waylon Javier seinen Gefährten mit. „Wir sollten nicht zu nahe herangehen und dadurch vielleicht irgendwelche Gefühle verletzen."
Er errötete, als ihm bewußt wurde, daß er gar nicht fürchtete, sie könnten die Gefühle der Domherren verletzen. Diese Wesen waren gewiß so abgeklärt und weise, daß sie anderen Wesen von vornherein eine andere Mentalität einräumten und das entsprechend berücksichtigten. In Wirklichkeit schreckte er vor dem direkten Kontakt zurück.
Behutsam ließ er den Shift absinken, bis die breiten Gleisketten den glatten Boden des Vorplatzes berührten. Als er von unten zur Spitze des Domes aufschaute, konnte er ein Schaudern nicht unterdrücken.
„Da!" flüsterte Unaire Zahidi und deutete nach vorn.
Javier folgte der angezeigten Richtung mit den Augen und sah, daß in dem großen torbogenförmigen Portal am Fuße des Domes ein Wesen aufgetaucht war.
Unwillkürlich hielt er die Luft an.
Das Wesen war eindeutig hominid und etwa 1,80 Meter groß. Es war gegliedert in einen Rumpf, zwei Beine, zwei Arme, einen Hals und einen Kopf. Seine Haut war elfenbeinfarbig und so glatt und makellos wie feinstes Porzellan.
Auch das Gesicht wirkte hominid, hatte einen Mund, zwei Ohren - aber drei Augen. Das dritte Auge saß über der Nasenwurzel, war rund und in zahllose Facetten gegliedert, und es ragte halbkugelförmig aus der Stirn.
Das Wesen trug goldfarbene Sandalen und einen luftigen weißen Umhang, dessen Falten sich beim Gehen ständig bewegten. Während es sich dem Shift näherte, sahen dessen Insassen, daß es statt Haaren eine Art schlangenähnlichen Gewimmels auf dem Kopf trug, das sich über den Nacken fortsetzte und oberhalb zweier stummeiförmiger Flügelrudimente endete, die aus dem Rücken ragten.
Javier öffnete die Schleuse, erhob sich und stieg aus. Seine Gefährten folgten ihm. Vor dem Shift blieben sie stehen und sahen dem Wesen entgegen.
Waylon Javier trug in seiner Brust einen Kampf zweispaltiger Gefühle aus. Er fühlte sich erhoben und erniedrigt zugleich: erhoben, weil dieser Herr oder Diener des Domes Kesdschan offensichtlich gekommen war, um sie zu begrüßen - und erniedrigt, weil sie alle dieses Wesen so ehrfürchtig anstarrten, als wären sie allen Ernstes davon überzeugt, es mit einem Gott zu tun zu haben.
Doch er konnte nichts tun, um den Widerstreit seiner
Weitere Kostenlose Bücher