106 - Atomgespenster
sie nachdenklich, während sie in einem kleinen
gemütlichen Restaurant den Lunch zu sich nahmen. »Aber wenn jemand über Jahre
hinaus so hartnäckig an einer Behauptung klebt, ohne daß etwas Entscheidendes
geschieht,
nimmt man den Gerüchteverbreiter entweder
nicht mehr ernst - oder jemand kommt endlich auf den Gedanken, klare
Verhältnisse zu schaffen .«
»Dann kommst du gerade richtig, Schwedenmaid .«
Er wußte, worauf Morna hinaus wollte.
»Was läge näher als der Gedanke, in dem Grab
nachzusehen, das Mandy Gorling seit sieben Jahren liebevoll pflegt, ohne fest
daran zu glauben, daß ihr Kind wirklich dort beerdigt liegt...« murmelte die
PSA-Agentin.
Sie verstanden sich, auch ohne daß der eine dem
anderen genau erklärte, was er vorhatte.
Morna wollte bei der Behörde eine Graböffnung
beantragen, die nach Schließen des Friedhofes für den allgemeinen
Publikumsverkehr erfolgen sollte.
Es gab noch jemand, der das dachte ...
Und das war kein Zufall!
*
Bevor Larry Brent Knoxville verließ, fuhr er
zum Anwesen der Sullivans.
Dort sah es wüst aus. Von dem Holzhaus war
nichts mehr zu sehen. Ein gemauerter steinerner Ring, auf dem das Haus gesessen
hatte, war alles. Die Steine waren schwarz verbrannt. Auch den Rasen und die
Bäume im Garten hatte es noch erwischt. Es sah aus, als hätte eine Bombe
eingeschlagen.
Das Feuer hatte sich zu rasch entwickelt, und
es war vor allem auch an mehreren Stellen gleichzeitig ausgebrochen, so daß die
Löschmannschaften nicht mehr viel hatten retten können.
Brandgeruch lag noch in der Luft.
Die Straße war übersät mit schwarzer Asche
und glänzte feucht.
Am Katastrophenort waren Angehörige der
Feuerwehren mit Aufräumungsarbeiten beschäftigt. Man suchte zwischen den
verkohlten Balken und dem Schutt nach Dingen, die kein Raub der Flammen
geworden waren.
X-RAY-3 verließ Knoxville in Richtung
Mealburg.
Bis er das durchführen konnte, was ihm am
Herzen lag, dauerte es noch ein paar Stunden. Die notwendigen Schutzanzüge
mußten beschafft werden.
Bis dahin aber wollte er nicht untätig sein.
Bis nach Mealburg kam er allemal, ebenfalls
bis zum umzäunten Gelände. Er wollte sich dort ohne Schutzkleidung jedoch nicht
allzulange aufhalten.
Es kam ihm darauf an, einen Blick zu
riskieren, weil er glaubte, daß Jacqueline Canvens Leidensweg dort begonnen
hatte. Und nicht nur der ihre ...
Die alte Straße zweigte von der neuen ab.
Das Hinweisschild auf Mealburg war
durchgestrichen, darunter eine grellgelbe Tafel befestigt, die den Autofahrer
und Passanten darauf aufmerksam machte, daß das Gelände des Atomkraftwerkes
wegen radioaktiver Verseuchung gesperrt ist.
Die Straße war schmutzig und
unkrautüberwuchert.
Ihr Verlauf war nur noch schwer feststellbar.
Larry Brent fuhr im Schrittempo. Einige Male
stoppte er und stieg aus. Dann ging er in die Hocke und tastete den Boden ab.
Deutlich waren Reifenabdrücke zu erkennen.
Hier war vor nicht allzulanger Zeit ein Auto gefahren.
Larry Brent dachte unwillkürlich an den
schwarzen Ford der Konzertagentin, wurde aber wenig später eines Besseren
belehrt.
Er fuhr die Straße Richtung Mealburg weiter.
Schon aus der Ferne war die typische
Silhouette des Atomkraftwerkes und seiner vier Kühltürme zu sehen, die
betongrau in den leicht bewölkten Himmel wuchsen.
Zwei Meilen vor ihm begann die verlassene
tote Stadt.
Das Werk lag davon noch gut drei Meilen
entfernt.
Mealburg und Knoxville waren rund
fünfundzwanzig Meilen voneinander entfernt.
X-RAY-3 sah sich die Umgebung genau an. Er
wußte anhand der Werte, die ihm der Geigerzähler lieferte, den er von Zeit zu
Zeit aus dem Wagen hielt, daß er kein Risiko einging. Der Besuch hier sollte
einer ersten Information dienen.
Sie verlief ein wenig anders, als er sie sich
vorgestellt hatte.
Die ersten Häuser von Mealburg tauchten auf.
Eine moderne Geisterstadt, seit nunmehr über
sieben Jahren verlassen.
Wind und Wetter hatten ihre Spuren an den
Gebäuden hinterlassen.
Die Fassaden wirkten ausgewaschen, Fenster
und Türen hingen zum Teil windschief in ihren Scharnieren, die meisten Scheiben
waren zerstört.
Die Häuser waren leer. Auf Fensterbänken
wuchsen Gras und Unkraut, aus einem Haus ragte sogar schon ein Baum, der das
hölzerne Fensterkreuz gesprengt hatte.
Der Wind säuselte zwischen den leeren
Gebäuden, trieb permanent feinen Sand vor sich her über die Straße und Gehwege.
Der Sand wiederum stammte vom Reaktorgelände, das damit bedeckt
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