106 - Atomgespenster
betrachtet
sah sie schlimmer aus, als er sie von der Nacht her in Erinnerung hatte.
Das Bein war geschwollen, rot und blau
angelaufen. Die Wunde eiterte.
Myrea konnte nicht stehen.
Frank Ropan setzte sich mit seinem Nachbarn
in Verbindung, einem jungen Mann aus Hannover, ein bärtiger Bursche, der seit
seiner Ankunft wie einst Robinson auf seiner einsamen Insel lebte, und dessen
Hauptbeschäftigung darin bestand, den lieben langen Tag zu grillen oder mit
einem Auslegerboot aufs Meer hinauszufahren.
Der Nachbar hieß Heinz, und er erinnerte sich
daran, in der Nacht mal etwas gehört zu haben. Aber da er einiges getrunken
hatte, bekam er es nur halb mit, legte sich auf die andere Seite und schlief
weiter.
Heinz war ihm behilflich, Myrea zu
transportieren.
Ropan war kräftig genug, das Eingeborenen-Mädchen
allein zu tragen. Aber Myrea zuliebe wollte er ihr den Transport so bequem wie
möglich machen.
Heinz war ein geschickter Bastler, und in
kurzer Zeit hatten sie aus einem Laken und zwei gleichlangen, geraden Ästen
eine Trage gezimmert, die sich sehen lassen konnte. Myrea lachte sogar, als er
sie hineinlegte.
»Dann los, ihr beiden Träger !« kommandierte sie.
Doch ihre Stimme klang matt und krank.
Sie brachten die Insulanerin ins Dorf zu dem
weißen Arzt. Er hatte ein schönes, großes Haus.
Der Mediziner war Franzose. Hier auf der
Insel lebten noch viele vom französischen Mutterland in der ehemaligen Kolonie,
und gerade die Mädchen, die Franzosen- und Eingeborenenblut in den Adern
hatten, gehörten zu den Geheimtips, die man ihm gab, als er zum erstenmal die
Insel betrat.
Moorea war ein Paradies, wenn es um schöne
Mädchen ging.
Dr. Francoise aus Paris war eine verkrachte
Existenz. Wegen seiner Liebe zum Alkohol hatte er mit seinen Patienten und
Kollegen Ärger bekommen.
Auf der Insel Moorea verarztete er - auch
wenn er mal zu tief ins Glas geschaut hatte - Eingeborene und Touristen. Sein
Geschäft blühte, und so war es nicht verwunderlich, daß sein Haus das größte
und schönste auf der Insel war, mit Nebengebäuden und einem eigenen kleinen
Krankenhaus.
Francoise behielt Myrea gleich da.
»Das sieht böse aus. Wie ist es passiert ?« Er blickte über den Rand seiner altmodischen Brille den
Deutschen an, der sich bereit erklärt hatte, für die Behandlungskosten
aufzukommen.
Ropan zahlte fünfhundert Francs an und
erklärte ihm, daß er das Fischmonster suchen wolle.
»Wenn Sie es finden, bringen Sie es zu mir.
Das muß ich mir ansehen... Vielleicht sagen Sie doch die Wahrheit .« Dr. Francoise kraulte sich nachdenklich seinen grauen
Kinnbart.
Ropan merkte an der Art, wie der Franzose
darauf reagierte, daß er die unglaublich sich anhörende Geschichte ernst nahm.
»Gab’s schon mal einen ähnlichen Fall, Doktor ?« wollte er wissen.
»Ja. Vor ein paar Wochen wurden zwei Kinder
angefallen. Eines lief mit dem Fischmonster, das sich an seinem Oberschenkel
festgebissen hatte, an Land ... Der Vater des Jungen hat das Biest
totgeschlagen. Das Ereignis hat sich wie ein Lauffeuer auf der Insel
verbreitet. Obwohl es in keinem Eingeborenenhaus Telefon, Radio oder Fernsehen
gibt - die Nachrichtenübermittlung klappt. Fragen Sie mich nicht wie. Ich bin
seit zwölf Jahren hier, aber ich bin noch nicht dahintergekommen, wie es
funktioniert. Selbst Dinge, von denen einer glaubt, daß niemand sie gesehen
hat, werden bekannt .«
»Die Eingeborenen haben schon eine
Bezeichnung für die Dinger«, fuhr er fort. »Sie nennen sie >Fischmensch aus
den Strahlen« .«
»Komischer Name« murrte Frank Ropan.
Der Franzose schüttelte den Kopf, während er
Myreas Wunde behandelte. Er hatte das Bein betäubt und schnitt das abgestorbene
Fleisch heraus. Die Tupfer warf er einfach in einen Papierkorb. »Nein, nein,
Monsieur Ropan .. . Die Leute hier sind gar nicht so dumm. Sie bringen diese
komischen Fischmenschen mit Atomwaffenversuchen und radioaktivem Müll in
Verbindung, der mehr oder weniger offiziell oder wild oder wie auch immer in
sämtlichen Weltmeeren versenkt wird. Und hier in dieser Inselgegend besonders
häufig. Schon lange warnen Wissenschaftler davor, weiterhin radioaktiven Müll zu
versenken. Kein Mensch kann eine Garantie dafür geben, ob die Behälter wirklich
dicht sind, oder wie lange sie dem aggressiven Meerwasser widerstehen. Beim
Versenken kann es zu Beschädigungen kommen, die kein Mensch kontrollieren kann.
Beim Fischfang oder durch Zufall, wenn etwas an Land gespült wird, entdeckt
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