106 - Das Ghoul-Imperium
schlug sie das Buch auf und begann zu lesen.
Es fiel ihr schwer, sich zu konzentrieren. Ihre Gedanken schweiften immer wieder ab, verquickten das Gelesene mit dem, was sie im Kino gesehen hatte.
Ein schreckliches Durcheinander kam dabei heraus.
Und plötzlich hörte Eartha Raft jemanden atmen…
In ihrem Zimmer!
***
Vicky Bonney schaltete den Schreibcomputer ab. »Genug für heute«, sagte die blonde Schriftstellerin und erhob sich. »Wie war der Film?«
»Unheimlich gut«, antwortete Jubilee schmunzelnd. »Eartha Raft wird daran noch lange zu nagen haben.«
»Du natürlich nicht«, sagte Vicky. »Denn du bist in der Realität Schrecklicheres gewöhnt, nicht wahr?«
»Oh, ich habe mich natürlich auch aufgeregt. So ist das nicht«, gab Jubilee zurück.
Sie verließen beide das Arbeitszimmer der Schriftstellerin.
»Wo ist Tony?« fragte Jubilee.
»Bei Mr. Silver.«
Jubilee schüttelte den Kopf. »Also mir paßt es nicht, daß er jetzt mit Cuca zusammenlebt.«
»Er hat versprochen, ihr eine Chance zu geben.«
»Muß er sich an dieses Versprechen denn gebunden fühlen?«
»Wenn Mr. Silver etwas verspricht, dann steht er dazu. Du kennst ihn doch«, sagte Vicky Bonney.
»Und was ist mit Roxane? Um die kümmert sich keiner mehr.«
»Sie hat ihn verlassen«, sagte Vicky. »Niemand weiß, wo sie ist.«
»Mr. Silver hat sich ihr gegenüber schäbig benommen.«
»Das darfst du nicht sagen«, erwiderte Vicky. »Cuca hatte ihn in der Hand. Sie konnte ihn unter Druck setzen, und das hat sie auch getan. Sie liebt Mr. Silver, und sie ist die Mutter seines Sohnes. Er hätte nie erfahren, wer sein Sohn ist, und er wüßte immer noch nicht den Namen des Höllenschwerts, wenn er auf Cucas Bedingungen nicht eingegangen wäre. Der Entschluß fiel ihm bestimmt nicht leicht, und ich muß Roxane leider vorwerfen, daß sie nicht richtig gehandelt hat. Sie ließ Mr. Silver keine Chance, sich zu rechtfertigen. Als sie hörte, daß er Tucker Peckinpah bat, ihm ein Haus zu Verfügung zu stellen, in dem er mit Cuca wohnen könne, verschwand Roxane auf Nimmerwiedersehen.«
»Ich kann Roxane sehr gut verstehen.«
»Du magst Cuca nicht.«
»Ich halte sie nach wie vor für eine gefährliche Hexe«, sagte Jubilee leidenschaftlich.
»Sie hat versprochen, von nun an neutral zu sein, weder Gutes noch Böses zu tun.«
»Irgendwann fällt sie um, das kommt so sicher wie das Amen in der Kirche!« behauptete Jubilee. »Weißt du, wann Tony heimkommt?«
»Nein. Warum? Willst du was von ihm?«
»Es steckt wahrscheinlich nichts dahinter«, sagte Jubilee. »Aber ich habe Eartha versprochen, mit Tony darüber zu reden.«
»Worüber?« wollte Vicky Bonney wissen.
»Eartha wohnt neben einem düsteren alten Haus«, erzählte Jubilee. »Sie bildet sich ein, daß mit dem Gebäude irgend etwas nicht stimmt. Jetzt hat sie auch noch diesen Gruselfilm gesehen… Kurzum, wenn sich Tony das Haus gelegentlich mal ansehen würde, würde sich Eartha nicht mehr so fürchten.«
»Das macht Tony sehr gern«, erwiderte Vicky. »Meinst du, daß etwas hinter der Angst deiner Freundin steckt?« Jubilee schürzte die Unterlippe und schüttelte den Kopf. »Ich glaube nicht.«
»Aber Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste«, sagte Vicky Bonney.
»So ungefähr«, gab Jubilee zurück und gähnte hinter der vorgehaltenen Hand. »Ich gehe bald zu Bett.«
»Hoffentlich kannst du schlafen.«
»Aber ja. Ich bin nicht so zimperlich wie Eartha.«
***
Jemand atmete!
In Earthas Zimmer!
Ruckartig setzte sich das Mädchen auf, und das dicke Buch rutschte aus dem Bett und fiel zu Boden. Mit schreckgeweiteten Augen sah siçh Eartha im Raum um.
Ein Unsichtbarer war da! Ein Geist!
Ihr Herz trommelte aufgeregt gegen die Rippen. Am liebsten wäre sie aufgesprungen und schreiend aus dem Schlafzimmer gestürmt, aber sie konnte sich nicht bewegen.
Die schreckliche Angst lähmte sie. Kam der Unsichtbare näher? Oder wurde das Atmen nur lauter?
Ruhelos wanderte Earthas Blick umher und blieb schließlich an den Lamellentüren des Schrankes hängen.
Im Schrank! dachte sie. O Gott, es ist jemand in meinem Schlafzimmerschrank!
Jetzt bewegten sich die Türen. Das war keine Einbildung! Die Türen bewegten sich tatsächlich! Eartha Raft zitterte, und dieses Zittern wurde sehr schnell zu einem Schüttelfrost.
Die Schranktüren öffneten sich, und eine dünne, unwirklich klingende Stimme flüsterte den Namen des Mädchens: »Eartha!«
Die einzige Reaktion, zu der sie
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