106 - Der Tod aus der Zauberkugel
materialisierte ich. Ich schob den zusammengeklappten Magnetstab in eine Hautfalte und stapfte auf das Wasser zu.
„Da ist er!" hörte ich eine laute Stimme.
Ich wandte den Kopf nach rechts.
Das Camp der Tierfänger war etwa fünfhundert Meter weit entfernt.
Ohne zu zögern, lief ich auf das Wasser zu. Aber als Laufen konnte man meine Bewegungen kaum bezeichnen. Es war ein qualvolles Taumeln. Mit meinen Schwimmhäuten an den Beinen fiel mir jede Bewegung an Land schwer.
„Das ist der Affe, von dem die Hexe berichtet hat!" brüllte ein zweiter Mann.
Ich wandte den Kopf um. Zwei Männer rannten auf mich zu. Einer hatte einen gewaltigen Vollbart, der andere war glatt rasiert. Sie waren nur noch fünfzig Meter von mir entfernt.
Meine Beine wollten mir nicht gehorchen. Ich mußte das Wasser erreichen, durfte den Männern nicht in die Hände fallen, sonst war alles verloren.
Ihr Keuchen wurde immer lauter. Noch zwanzig Meter, dann hätte ich das Wasser erreicht.
Eine Hand fiel schwer auf meine rechte Schulter und riß mich zurück. Ich stemmte mich dagegen an, versuchte zur Seite zu springen, da war der zweite Mann heran, der meinen linken Arm packte und ihn auf den Rücken drehte.
„Wir haben ihn!" brüllte der Bärtige.
„Da wird aber Halmahera Augen machen. Ein blauer Affe mit Schwimmhäuten an Füßen und Händen."
Die beiden wußten nicht, daß ich ein Kappa war. Für sie war ich ein bisher unbekanntes Tier. Ich überlegte, ob ich verraten sollte, daß ich sprechen konnte, verwarf aber diesen Gedanken. Außerdem hätte ich nicht englisch sprechen dürfen, da der Kappa nur Japanisch konnte.
Sie hoben mich hoch, und ich gab den Gedanken an Widerstand auf. Die beiden Männer waren zu kräftig. Bei Gegenwehr hätten sie mich möglicherweise verletzt.
Zwei weitere Männer kamen uns entgegen.
Die Sonne machte mich verrückt. Der Körper eines Kappas vertrug nur sehr schlecht direkte Sonnenbestrahlung. Ich spürte, wie meine Haut austrocknete. Vor meinen Augen flimmerte alles. Nur undeutlich nahm ich wahr, daß ich in einen Käfig gesteckt wurde. Gott sei Dank stand der Käfig wenigstens im Schatten. Alles drehte sich vor mir. Ich ließ mich zu Boden fallen und rollte mich zusammen.
Meine Lage war hoffnungslos. Wenn ich nicht bald Wasser bekam,
dann
mußte ich sterben.
Als hätte einer der Männer meine Gedanken gelesen, kam er mit einer Wasserschüssel und schob sie in den Käfig. Mit letzter Kraft hob ich die Schüssel hoch und schüttete mir das Wasser über den Kopf. Es wurde augenblicklich von meiner Haut aufgesogen.
„Ein seltsames Tier", sagte der Mann. „Scheint Wasser zu benötigen."
Sie schütteten einen Kübel Wasser über mich, und ich spürte, wie meine Kräfte etwas zurückkehrten. Dann kümmerten sie sich nicht weiter um mich.
Meine Gedanken drehten sich im Kreis. Sie wanderten zurück in die Vergangenheit, zurück zu jener Zeit, als ich Tomotada, der Schwarze Samurai gewesen war.
Vergangenheit, 1608
Noch immer waren wir auf der Flucht - Tomoe, unser Sohn, und ich, Tomotada, der Schwarze Samurai.
Bis vor etwa einem halben Jahr war ich ein treuer Diener des Kokuo von Tokyo gewesen. Jetzt haßte ich ihn, da ich die schreckliche Wahrheit erfahren hatte.
Aufgewachsen war ich im Palast des Daimyo Hatakeyama, der mich zusammen mit seinem eigenen Sohn Hoichi erzogen hatte. Das war damals eine schöne Zeit gewesen. Doch alles änderte sich am Tag der Reifeprüfung. Da hatte ich erfahren, daß ich der Sohn einer Mujina war. Ich hatte das kostbare Tomokirimaru, das Schwert der Schwerter, geraubt, und mir war die Flucht gelungen. Später hatte ich meinen Milchbruder Hoichi getötet und Tomoe gezwungen, mir zu Willen zu sein. Davon hatte ich jedoch meinem Herrn nichts erzählt.
Der Kokuo hatte von meiner Verfehlung erfahren und mich im Palast gefangengehalten. Seinem Urteilsspruch hatte ich mich nicht fügen können. Er hatte von mir verlangt, daß ich Tomoe den Bauch aufschneiden, das ungeborene Kind herausholen und beide töten sollte.
Franca Marzi, der Henker des Herrschers vom Niemandsland, hatte mir die Augen geöffnet. Er hatte mich angefleht, mich an meine früheren Leben zu erinnern - und es war mir schließlich auch gelungen. Ich hatte die ganze schreckliche Wahrheit erkannt.
Der Kokuo war niemand anderer als Heinrich Cornelius von Mundt, den ich in meinem Leben als Baron de Conde kennengelernt hatte. Der Kokuo hatte mich als Michele da Mosto nach Japan gelockt, mich
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