106 - Der Tod aus der Zauberkugel
gefangengenommen und seinen teuflischen Plan verwirklicht. Auf seinen magischen Befehl hin hatte ich Harakiri begangen, während neben mir O-Yuki, die Gesichtslose, einem Knaben das Leben schenkte. Die Seele Michele da Mostos war in den Körper des Neugeborenen übergewechselt. So hatte mich der Kokuo jederzeit unter Kontrolle.
Zusammen mit Marzi und Tomoe war mir die Flucht von der Insel gelungen. Wir hatten aber Pech gehabt, da wir zum Zeitpunkt des Festes der Toten uns aufs Meer gewagt hatten. Überall waren die kleinen Seelenschiffchen zu sehen gewesen. Das Meer hatte getobt, und die Toten hatten Marzi zu sich geholt. Später hatte uns ein Kappa verfolgt, den ich aber hatte verwunden können. Er hatte die Verfolgung aufgegeben. Während der Fahrt hatte Tomoe einem Knaben das Leben geschenkt, an dem sie zu meiner größten Überraschung sehr hing. Unsere Beziehung zueinander hatte sich verändert. Sie haßte mich jetzt nicht mehr, aber ich konnte auch nicht behaupten, daß sie mich rasend liebte; aber das war auch nicht notwendig.
Unser Leben war nicht einfach. Wir waren noch immer auf der Flucht vor dem Kokuo von Tokoyo. Der Kokuo wollte mich lebend, da er mich sonst nicht kontrollieren konnte. Bei meinem Tod würde meine Seele aus meinem Körper in den eines neugeborenen Kindes irgendwo auf der Welt überwechseln; und daran hatte der Kokuo kein Interesse.
Ich wollte Tomoe und unseren Sohn irgendwo verstecken, wo der Kokuo die beiden nicht finden konnte. Sie mußten zuerst in Sicherheit sein, dann wollte ich mich dem Kokuo zum Kampf stellen und ihn töten.
Meistens waren wir während der Nacht unterwegs. Bei Tag durfte ich mich nicht sehen lassen. Jeder hätte sofort gewußt, wer ich war. Mein Gesicht steckte unter einer schwarzen Eisenmaske, die ich zum Schutz meiner Mitmenschen tragen mußte, denn nahm ich die Maske ab, verwandelten sich alle, die in mein glattes, eiförmiges Gesicht blickten; sie verloren ihr Gesicht, wurden verrückt und brachten sich um. Die Eisenmaske bedeckte auch die Ohren. Auf die Maske war eine abstoßend häßliche Fratze auf gemalt. Die Maske wies Spitzohren auf, die sich hoch nach oben zogen und wie Helmflügel wirkten. Ich trug einen schwarzen, innen rot gefütterten Umhang, der bis zu den Knien reichte. In meinem linken Ärmel hatte sich vor langer Zeit ein Rokuro-Kubi verbissen, dessen Kopf nicht abzutrennen war.
Vor drei Tagen hatte ich den Angriff von drei Samurais abwehren können, die mich hatten gefangennehmen wollen. Dabei hatte ich ein Pferd erbeutet.
Es war Nacht. Der Himmel war mit düsteren Wolken bedeckt, und es war eisigkalt. Tomoe saß hinter mir im Sattel und klammerte sich an mir fest. Unseren Sohn trug sie auf dem Rücken. Es war ein ruhiges Kind, das nur selten weinte und schrie.
„Mir ist kalt", flüsterte Tomoe. „Ich habe Hunger und muß unseren Sohn stillen."
„Sobald ich ein Haus sehe, reite ich hin", sagte ich laut. Ich trieb den dunkelbraunen Hengst an.
Es war eine unwirkliche Landschaft, durch die wir ritten: Kahle Bäume und viele kleine Hügel, die bizarr geformt waren. Gelegentlich sah ich ein Irrlicht, das uns für ein paar Sekunden verfolgte, dann aber wieder verschwand.
Eine Stunde später sah ich ein kleines Haus. Ich zügelte das Pferd, sprang aus dem Sattel und hob Tomoe herunter. Dann zog ich mein Schwert.
„Was hast du vor?" fragte Tomoe ängstlich.
Sie war klein, zierlich und wirkte zerbrechlich wie eine Puppe.
„Ich werde ins Haus gehen und…"
„Du hast dich nicht geändert, Tomotada", sagte Tomoe leise. „Du bist noch immer der Schwarze Samurai, für den es nur das Töten gibt."
Ich schob das Schwert zurück in die Scheide. Trotzdem ich mich an meine früheren Leben erinnerte und mich bemühte, mich zu ändern, gelang es mir nicht. Meine dämonische Veranlagung konnte ich nicht leugnen.
„Mir bleibt keine andere Wahl", sagte ich mißmutig. „Sobald mich die Leute sehen, flüchten sie oder greifen mich an. Ich bin des ewigen Kampfes müde."
„Ich werde allein in das Haus gehen", sagte Tomoe entschlossen. „Ich bin sicher, daß mich die Bewohner aufnehmen werden."
„Und was soll ich in der Zwischenzeit tun?"
„Siehst du diesen Hügel dort, Tomotada?" fragte sie.
Ich folgte ihrem ausgestreckten Arm und nickte.
„Dort sehe ich einige Höhlen. Verstecke dich in einer! Ich werde versuchen, dir morgen Nahrungsmittel zu bringen."
Ich wollte mich nicht von Tomoe und meinem Sohn trennen, aber sie hatte natürlich
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