1060 - Die Mystikerin
war dabei zwangsläufig langsamer.
Diesmal wurde das Kreuz indirekt zu einem Helfer der Geisterfrau. Mich kostete die Aktion Zeit. Diese Spanne wiederum reichte der Erscheinung aus, um sich zu erholen.
Noch während sie taumelte, löste sie sich auf. Das ging sehr rasch, so daß ich nicht dazu kam, überhaupt einzugreifen. Obwohl kein Wind wehte, schien sie von einem Windstoß weggeblasen zu werden und war dann verschwunden.
Ich blieb stehen und fluchte. Ich hatte die Chance gehabt, jetzt war sie weg. Wer konnte schon sagen, ob sie jemals so günstig wieder zurückkehrte…?
***
Es war etwas passiert. Es lag etwas in der Luft. Überspitzt konnte man sagen, daß wir einen Stein zum Rollen gebracht hatten, der sich möglicherweise zu einer Lawine aufbaute. Das allerdings lag noch im Bereich der Spekulation.
Jedenfalls war diese geheimnisvolle Frau verschwunden. Ziemlich frustriert drehte ich mich um.
Jane Collins hatte mit Amy den Wagen verlassen. Die Detektivin stand dicht neben unserem Schützling, als befürchtete sie eine plötzliche Flucht. Beide schauten mich an. Zumindest Jane konnte nachfühlen, wie es in mir aussah. Mit Worten hielt sie sich allerdings zurück.
Amys Gesicht bewegte sich. Nur mühsam unterdrückte sie ein Lachen. Sie fand es sicher spaßig, daß ich verloren hatte. Über derartige Dinge wollte ich mich nicht auch noch aufregen.
Ich schlenderte langsam auf die beiden Frauen zu. Amy wirkte in ihrem blutbefleckten Kleid wie eine makabre Gestalt aus einem Horrorfilm. Zeugen hielten sich noch immer nicht in der Nähe auf. Dieses Stück Bahngelände war einfach tot.
Der Wind hatte Jane einige Haare bis in die Stirn geweht. Sie strich die Strähnen zurück und nickte mir zu. »John, das war haarscharf. Die Waffe hätte dich durchbohrt.«
»Stimmt, aber sie wurde abgelenkt. Im letzten Augenblick stemmte sich etwas dagegen. Du hast dieses helle Licht gesehen, das wie ein Strahl in die Höhe schoß?«
Sie lächelte. »Dein Kreuz hat die Abwehr geschafft.«
»Genau.«
»Es bedeutet, daß wir es mit einer Person von der anderen Seite zu tun haben.«
Dem wollte ich nicht unbedingt zustimmen. »Das weiß ich nicht, Jane. Jedenfalls ist sie stark und mächtig. Viel stärker als wir Menschen, glaube ich. Ich würde sie auch nicht unbedingt der anderen Seite zuordnen. Wäre das so, hätte mein Kreuz schon zuvor reagiert und mir eine Nachricht übersandt. Das muß etwas anderes gewesen sein. Nur weiß ich nicht, was genau. Es baute erst seinen Schutz auf, als mich die Waffe beinahe erwischt hätte.«
»Und was ist das für ein Gegenstand gewesen? Er sah aus wie ein Messer oder ein Dolch. Ich kann mir nicht vorstellen, daß es tatsächlich einer gewesen ist.«
»So denke ich auch.« Ich hob die Schultern. »Was ist sie nun? Wir wissen, daß sie Hildegarda heißt. Ein wohl frommer Name. Nur hat sie nicht fromm gehandelt, und das bereitet mir Sorgen. Kann sie eine Wölfin im Schafspelz sein?«
»Auf ihre Art immer!« behauptete Jane.
Amys scharfes Lachen stoppte unsere Unterhaltung. »Sie ist stärker als Menschen, viel stärker, sage ich euch. Nur ich kann mich sicher fühlen und nicht ihr. Nichts werdet ihr mir anhaben können. Sie wird mich holen, darauf könnt ihr euch verlassen. Niemand wird es verhindern können.«
Ich schaute Amy an. Sie stand locker vor mir und zeigte keine Unsicherheit. Bestimmt vertraute sie voll und ganz auf ihre geheimnisvolle Beschützerin. »Du weißt viel über sie, nicht wahr?«
»Nein, nein. Ich weiß zuwenig. Aber ich fühle mich sicher. Es ist so, als wäre ich von einem Schutzengel umgeben. Darüber kann ich mich eben freuen. Diese Person ist einmalig. Sie ist ein Wunder an sich. Ich liebe sie.«
»Was will sie von dir?«
Amy breitete die Arme aus. »Das kann ich nicht genau sagen. Aber ich vertraue ihr.«
»Sie wollte mich töten, Amy.«
»Hätte sie es mal getan!«
»Hör auf. Der tote Penner reicht. Woher hattest du eigentlich das Messer, Amy?«
»Ha, hä.« Ich hörte ein kurzes, stoßweises Lachen. »Das will ich dir sagen. Sie hat es mir gegeben: Es war plötzlich da, ebenso wie Hildegarda. Sie hat mich gebeten, es auch einzusetzen. Das ist alles. Ich wollte sie nicht enttäuschen. Was hättet ihr denn an meiner Stelle getan?«
»Das steht nicht zur Diskussion«, sagte Jane und wandte sich an mich. »Fahren wir?«
»Ja.«
Amy lächelte. »Ihr wollt mich in Sicherheit bringen, wie? In eure Sicherheit. Aber eines kann ich euch sagen. Hildegarda
Weitere Kostenlose Bücher