1060 - Die Mystikerin
wird es nicht zulassen. Sie hat mich auf ihrer Liste, und sie wird dafür sorgen, daß ich den Weg gehe, den sie für mich ausgesucht hat. Da könnt ihr versuchen, was ihr wollt.«
»Schon gut«, sagte Jane und drückte sie zur Seite. »Steig endlich ein. Mir wird es allmählich zu kalt.«
Amy gehorchte ohne Widerstand. Sie nahm den gleichen Platz auf dem Rücksitz ein, und auch Jane kletterte in den Rover. Ich blieb noch für eine kleine Weile neben dem Wagen stehen und ließ meinen Blick über das Gelände schweifen.
Die geheimnisvolle Hildegarda zeigte sich nicht. Nirgendwo malte sich der schwache Umriß ihres Körpers ab. Mein Eindruck, daß sie uns aus einer anderen Sphäre her unter Beobachtung hielt, blieb trotzdem. Das war im Moment egal. Etwas dagegen unternehmen konnten wir nicht.
Amy saß neben Jane wie eine brave Schülerin und lächelte nur vor sich hin. Sie wirkte in sich gekehrt. Mit ihren Gedanken war sie weit weg. Sie schwammen irgendwo zwischen den Sphären. Möglicherweise hatte sie auch Kontakt zu denjenigen aufgenommen, die für uns nicht sichtbar waren.
Auf der Fahrt zum Yard dachte ich über Hildegarda nach. Für mich war sie ein Phänomen. Auf der anderen Seite besaß sie einen Namen, mit dem ich zwar nicht zurechtkam, der für mich allerdings auch so etwas wie ein Hinweis war. Ein frommer Name. Klösterlich, und der Begriff Kloster wollte mir nicht aus dem Kopf. Auch deshalb, weil sie mich an eine Nonne erinnert hatte.
Die Nonne Hildegarda. War das richtig? Ich verneinte die Frage, weil es für mich einfach zuwenig war. Ich glaubte meinem Gefühl.
Es sagte mir, daß mehr, viel mehr, sogar etwas Großes dahinterstecken konnte. Wir hielten erst den Schneeball in den Händen. Die wahre Lawine lag noch verborgen.
War sie eine Prophetin? Eine Mystikerin? Eine Geisterfrau? Ich kam einfach nicht auf konkrete Ergebnisse.
Donata fiel mir ein. Sie war ähnlich gewesen. Als Wahrsagerin und Prophetin hatte sie in Rußland gelebt und war dann ermordet worden. Ihr Geist oder ihr feinstofflicher Körper hatte mich eine Weile begleitet und mich auch indirekt vor dem Tod meiner Eltern gewarnt, wobei sie gleichzeitig ein Schutz gewesen war.
Mit Hildegarda erlebte ich nicht das gleiche Phänomen, aber ein ähnliches.
Die Frauen hinter mir verhielten sich ruhig. Jane Collins hatte versucht, ein Gespräch zu beginnen, doch ihre Fragen waren stets von Amy abgeblockt worden.
Sie wollte nicht. Sie stellte sich stur. Furcht vor dem Gefängnis hatte sie nicht. Wenn ich hin und wieder ihr Gesicht im Innenspiegel sah, entdeckte ich ein feines Lächeln auf ihren Zügen. Der nach außen getragene Beweis ihrer guten Gedanken.
Ich hatte nicht vor, sie sofort in eine der Untersuchungszellen zu stecken. Zunächst wollte ich noch mit ihr sprechen. Vielleicht löste sich ihr Schweigen, aber auch ein hastig gesprochenes Wort hätte mir ausgereicht. Es würde schwer werden, weil Amy einfach keinen an sich heranließ.
London erwies sich mal wieder als verstopfter Vielfraß. Erst schluckte die Stadt die gewaltigen Ströme aus Autos und Touristen, dann fiel es ihr schwer, sie wieder abzugeben, und so hatten wir große Mühe, uns durch den Verkehr zu wühlen.
Als wir in einem Stau steckenblieben, nahm ich die Gelegenheit wahr und telefonierte mit dem Büro. Suko war nicht anwesend, sondern saß mit Sir James in dessen Büro beisammen, wie mir Glenda erklärte und dann fragte: »Gibt es denn etwas Besonderes?«
»Ja, du kannst ihm sagen, daß ich Besuch mitbringe. Eine junge Frau. Sie heißt Amy.«
»Ach. Ist das die von Jane Gesuchte?«
»Wir haben sie gefunden.«
»Deine Stimme hört sich an, als wärst du nicht so recht froh dar über.«
»Nun ja, ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll. Zumindest ist sie eine Mörderin.«
»Oh.«
Ich kenne Glenda. Bei dieser knappen Antwort würde sie es nicht belassen und weiterfragen. Deshalb kam ich ihr zuvor und verabschiedete mich mit einem knappen Gruß.
»War sie sauer?« fragte Jane.
»Kann ich dir nicht sagen. Ist auch nicht wichtig.« Ich konnte wieder anfahren und nutzte die Chance. Beruhigter war ich nicht. Es gefiel mir auch nicht, daß wir im Auto saßen. Irgendwie kam ich mir vor wie in einer Falle. Es war alles normal. Der Verkehr gehörte ebenso dazu wie das kühle Aprilwetter, das uns mit Schauern, Wind und auch Sonnenschein beglückte.
Amy sprach kein Wort. Sie war auch nicht mehr so aufmerksam.
Den Blick hielt sie gesenkt. Die Hände hatte sie auf
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