1060 - Die Mystikerin
ihren Oberschenkeln zusammengelegt, und sie machte den Eindruck eines Menschen, der still vor sich hinbetet.
Eine Mörderin, die betete? So etwas gab es. Das war nicht neu.
Menschen überkam oft eine große Reue, aber nie so schnell wie es bei Amy aussah. Deshalb dachte ich auch anders darüber. Ich konnte mir einfach nicht vorstellen, daß sie einfach nur da hockte und betete. Oder nahm sie Kontakt mit Hildegarda auf?
Da ich öfter anhalten mußte, konnte ich sie immer wieder beobachten. Mir fiel auf, daß sie ihre Lippen bewegte. Zu hören war allerdings nichts. Auch Jane blickte sie von der Seite her an. Die Stirn meiner Freundin zeigte einige Falten. Ihr schien das Verhalten der jungen Frau ebenfalls nicht geheuer zu sein.
Ich stellte keine Frage. Mein Verhalten war Jane nicht verborgen geblieben. Sie bemerkte meinen skeptischen Blick und zuckte nur mit den Schultern. Auch sie konnte sich das Verhalten der jungen Mörderin nicht erklären. Wer so saß und sich dabei so hingab, der konnte gut und gern meditieren. Oder versuchen, mit einer anderen Person Kontakt aufzunehmen. Ich spielte mit dem Gedanken, mein Kreuz abzunehmen und es Jane zu reichen. Aber der Verkehr lief wieder. Ich konnte keine Pause einlegen und fädelte mich wieder ein.
Zudem war es nicht mehr weit. Es gibt nur wenige Garagenplätze beim Yard. Sie liegen unter der Erde und dem Hof, auf dem einige Wagen stehen, die im Notfall immer einsatzbereit sein müssen.
Von der unterirdischen Garage würden wir direkt hoch zu meinem Büro fahren. Ich wollte auch nicht, daß Amy in ihrem blutbefleckten Kleid durch die Eingangshalle ging und angestarrt wurde wie ein Außerirdische.
Als wir Scotland Yard erreicht hatten, da war Amy plötzlich wieder voll da. Sie setzte sich aufrecht hin, war hellwach, schaute sich auch um, ohne viel erkennen zu können, denn ich rollte bereits in die unterirdische Autohalle hinein.
Strahlend hell war es nicht. Es gab nur relativ wenig Platz, so daß die Fahrzeuge dicht an dicht standen. Um in eine Lücke hineinzukommen, mußte ich schon rangieren. Sie war so eng, daß es besser war, wenn die beiden Frauen zuvor ausstiegen. Außerdem befand sich Amy bei Jane Collins in guter Obhut.
»Steigt ihr schon mal aus?«
»Wird gemacht«, sagte Jane.
Ich beobachtete Amy. Sie gab sich gelassen. Kein Lächeln zeigte sich auf ihren Lippen. Auf eine bestimmte Art und Weise wirkte sie stolz und sicher. Wie jemand, der genau weiß, daß ihm nichts passieren kann. Das war mein Problem. Ihre Sicherheit und meine eigene Unsicherheit. Ich wußte einfach nicht, was noch alles in ihr steckte. Welche Kräfte ihr Hildegarda mit den Weg gegeben hatte. Zumindest hatte diese Person es geschafft, Amy zu einer Mörderin werden zu lassen.
Ich fuhr den Wagen in die Lücke. Die beiden hinter dem Rover stehenden Frauen entschwanden aus meinem Sichtfeld. Die Kreise der Scheinwerfer glotzten gegen die Wand, an die ich ganz leicht mit der Stoßstange stieß. Weiter ging es nicht. Ich schaltete den Motor ab, zog den Zündschlüssel ab, schnallte mich los und öffnete die Tür. Dabei hatte ich versucht, einen Blick auf Amy und Jane zu werfen. Das war mir nicht gelungen, sie hatten ihren Platz gewechselt.
In der Garage war es ruhig. Der Geruch nach Abgasen war normal. Auch das nicht zu helle Licht.
Ich schlug die Tür zu. Drehte mich, ging einige Schritte auf das Heck des Autos zu – und blieb dort wie angewurzelt stehen, denn jetzt sah ich die beiden wieder.
Sie standen noch immer beisammen, auch wenn sie sich nicht mehr berührten. Nur hatte sich eine Gestalt zu ihnen gesellt. Und das war Hildegarda.
Sie hatte sich hinter Jane Collins aufgebaut, was nicht weiter tragisch gewesen wäre.
Schlimm war nur die Stichwaffe, mit der sie Jane Collins bedrohte.
Von hinten her hatte sie ihren Arm um Janes Kehle gelegt und die Hand dabei so gedreht, daß die Messerspitze genau auf die Mitte ihrer Kehle zeigte. Die Geste galt nicht nur ihr, sondern auch mir.
Wenn ich mich nur falsch bewegte, war es um Jane geschehen…
***
Deshalb blieb ich stehen. Ich hob langsam die Arme an. Ich wollte nicht, daß Hildegarda auch nur in Versuchung geriet, Jane zu verletzen.
Sie war zufrieden, denn auf den Lippen in ihrem bleichen Gesicht erschien ein Lächeln. Zu sagen brauchte sie nichts, das übernahm Amy, die sich wieder sicher fühlte. »Habe ich es euch nicht gesagt?« flüsterte sie. »Habe ich nicht recht behalten? Ich bin besser als ihr. Man bekommt mich nicht
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