1060 - Die Mystikerin
so leicht, denn ich stehe unter Hildegardas Schutz. Sie hat sich für mich entschieden und läßt mich nicht im Stich. Ihr müßt euch schon damit abfinden, ob ihr wollt oder nicht.«
Wir wollten bestimmt nicht. Aber es blieb uns einfach nichts anderes übrig.
»Es ist gut«, sagte ich leise. »Ich möchte hier kein Blut fließen sehen. Ich werde auch nichts tun.«
»Das ist auch besser so!«
Auf Amys Worte achtete ich nicht, denn ich wollte mehr über Hildegarda wissen. Deshalb fragte ich sie, wer sie war.
Es wunderte mich schon, daß sie mir eine Antwort gab, ohne sich zu genieren. »Ich bin einen Retterin. Ich bin jemand, der weissagt. Der vorausschaut. Ich kenne die Welt. Ich weiß, wie böse sie ist. In mir ist eine große Kraft. Aber auch eine große Liebe und Demut, mit der ich bestimmten Menschen begegne.«
Das kam mir zwar nicht so vor, doch ich hütete mich, ihr das gegenüber zu erwähnen. »Und was willst du mit Amy?«
»Sie bekehren, sie retten und zu mir holen. Weg aus dieser schrecklichen Welt und hinein in die meine. Ich will das Reine. Ich will es ihnen zurückgeben. Ich habe sie dem Elend entrissen.«
»Und du nennst dich Hildegarda.«
»Ja.«
»Warum dieser Name?«
Leuchteten die Augen noch stärker oder irrte ich mich? Genau wußte ich es nicht. Ein Kraftstrom durchlief die Person, bevor sie mir eine Antwort gab. »Einer anderen zu Ehren, mit der ich mich sehr stark verbunden fühle, habe ich mir diesen Namen gegeben. Die andere ist ein Wunder, und sie steckt in mir. Deshalb bin ich auch eine Mystikerin. Ich werde den gleichen Weg gehen und versuchen, ihr nachzueifern. Ich kann die Welt nicht von all dem Schmutz befreien, das ist unmöglich, aber ich kann einen kleinen Teil dazu beitragen. Ich kann dafür sorgen, daß das Elend weniger wird, und dazu haben sich auch meine Freundinnen verpflichtet.«
»Elend weniger? Durch Mord? Oder durch die Bedrohung einer Frau mit einer Waffe wie jetzt?«
»Es müssen manchmal Opfer gebracht werden.«
»Ja, das haben schon viele gesagt, um ihre angeblich hehren Ziele zu erreichen. Tyrannen, Despoten, Diktatoren und Killer. An diese Worte kann ich nicht mehr glauben.«
Die Mystikerin ließ sich nicht aus dem Konzept bringen. »Aber ich bin anders, denn ich habe die Vergangenheit in mir gespürt. Sie ist der Strom, sie ist die Kraft. Ich spürte, daß du ein Feind bist. Ich wollte dich auch töten, aber es war etwas da, das mich zurückgehalten hat. Ich merkte auf einmal, daß wir beide gar nicht so weit voneinander entfernt sind, denn im Prinzip sind unsere Ziele gleich.«
Damit war ich nicht einverstanden. »Es gibt schon einen Unterschied. Um meine Ziele zu erreichen, werde ich nicht bewußt zu einem Mörder. Das solltest du dir merken, Hildegarda.«
»Spiele hier nicht den Moralapostel. Du wirst mich nicht von meinem Weg abbringen können. Ebensowenig wird es dir gelingen, mir Amy wegzunehmen. Sie hat sich einverstanden erklärt, wie andere auch. Sie wird jetzt bei mir bleiben wie eine Tochter bei der Mutter. Es ist ihr Glück. Keiner kann sich dem in den Weg stellen. Ich gebe dir noch einen Rat. Versuche nie mehr, mich zu finden. Wenn ja, dann wirst du es bereuen, denn meine Gnade dauert nicht ewig an.«
Starke Worte, die sich bei mir einprägten. Ich ärgerte mich darüber, daß sie die Trümpfe wieder in den Händen hielt. Zugleich blieb mein Kreuz »ruhig«. Es sah in dieser Person keine Gegnerin oder Feindin. Das wiederum war mir suspekt. Zwar hatte sie mir erklärt, daß wir irgendwie auf einer Seite standen, doch akzeptieren wollte ich es nicht. Dazu war ich zu sehr egobezogen.
Hildegarda wollte auch nicht mehr reden. Die halb feste und halb durchsichtige Gestalt zog sich zurück. Jane spürte ihren Druck. Sie hatte sich tapfer gehalten, und sie ging mit, denn sie wollten den Kehlenschnitt nicht riskieren.
Auch Amy blieb nicht mehr stehen. Sie lächelte jetzt selig. Sie war gerettet. Das blutbefleckte Kleid wallte bei jedem Schritt. Ich wagte nicht, nach vorn zu gehen. Wäre Suko jetzt hier unten gewesen, wäre es uns besser gegangen. Er hätte die Person durch das Wort »Topar« stoppen können, so aber ging Hildegarda zurück und zog Jane Collins mit sich.
Der Mittelgang war nicht breit. Sie würden sehr bald schon gegen die Kühlerhaube eines anderen Autos stoßen und möglicherweise dann aus dem Rhythmus kommen.
Das trat nicht ein, denn Amy ging einen Schritt zur Seite und zugleich auf die Mystikerin zu. Sie geriet in ihren
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