1063 - Die Nacht vor Walpurgis
bitte auf.«
»Das mache ich gern. Man hat damals sehr schnell erkannt, daß ich etwas Besonders gewesen bin. Daß ich unter einem direkten Schutz stand, und man wollte mich endgültig vernichten. Ja, man wollte auf Nummer Sicher gehen. Deshalb hat man mich im Schlaf überrascht. Es war schlimm für mich. Sie kamen in Massen. Sie waren mit Schwertern, Messern, Lanzen und mit Bibeln bewaffnet, und sie haben mich so zusammengeschlagen, daß ich mich nicht mehr wehren konnte. Aber ich überlebte. Genau das wollten sie auch. Ich sollte leiden. Deshalb griffen sie zu den Waffen und schnitten mir bei lebendigem Leib das Herz aus der Brust. Es machte ihnen wohl Spaß, zu sehen, wie ein Hexe ihr Herz verliert. Sie haben es in ein Gefäß gelegt und ebenfalls zum Hügel hochgebracht, einem Tanzplatz der Hexen mit dem Teufel und seinen Dämonen. An diesem für sie unheiligen Ort haben sie mich verbrannt und das Herz dabei tief in den Hügel hinein versenkt, weil die Flammen es nicht annahmen. Sie waren völlig überrascht. In ihrer Panik fiel ihnen nur ein, mein Herz einfach zu begraben. Sie dachten nicht weiter, sondern nur ›nach uns die Sintflut.‹«
Jane nickte. »Trotz allem stehst du vor mir. Eine lebende Zora und kein verbrannter Körper.«
»Ja.«
»Ich weiß nicht, was ich glauben soll, aber du wirst schon einen Plan haben.«
Zora nickte, bevor sie lächelte. »Den habe ich auch, Jane. Einen großen Plan sogar.«
Janes Rechnung ging nicht auf, denn Zora verriet ihr nicht mehr über den Plan. Die Detektivin konnte sich allerdings vorstellen, daß sie gewissermaßen der Mittelpunkt dieses Plans war, und sie nahm sich vor, sehr auf der Hut zu sein.
Sie versuchte, ihre Gefühle zu ergründen. Es war nicht einfach.
Normalerweise hätte sie Zora hassen müssen. Das wäre in einer anderen Umgebung auch der Fall gewesen. In dieser Dimension der Hexenwelt hatte sich einiges verändert. Jane brachte der anderen zwar kein Sympathie entgegen, aber sie haßte Zora auch nicht, und das machte sie schon nachdenklich.
Es lag nicht nur an der Umgebung, auch an ihr selbst und an dem, was in ihr steckte.
Eben die noch vorhandenen Hexenkräfte aus einer längst vergessenen Zeit. Genau das mußte es sein. Sie sorgten für Janes neutrales Verhalten.
Zoras Worte waren ihr ebenfalls in der Erinnerung geblieben.
Auf keinen Fall wollte sie, daß Jane wieder in die normale Welt zurückkehrte. Jane gehörte zu ihrem Plan, war möglicherweise sogar der Mittelpunkt, aber die Detektivin wußte nicht, wie es weiterging.
Es ging weiter. Sehr bald sogar, denn Zora nickte ihr zu und fragte: »Gehen wir?«
Jane, die aus den Gedanken herausgerissen wurde, zeigte sich für einen Moment irritiert. »Gehen? Wohin?«
»Zu meinem verlorenen Herz.«
Jane Collins schwieg. Sie versuchte, ihre Überraschung zu verbergen und flüsterte nur: »Was sollen wir dort? Warum sollen wir dein Herz besuchen? Muß ich es besichtigen?«
»Auch das.«
»Es liegt im Hügel, nicht?«
Zora nickte. »Der Weg dorthin ist leicht.« Sie deutete mit der freien Hand in die Runde. »Diese Welt ist anders. Sie ist wirklich das, von dem die Menschen träumen – grenzenlos. Es gibt keine Schranken, dafür hat Wikka gesorgt, die große Meisterin. Der Hügel ist ihr Platz, ist ihre Welt, auch wenn man ihm äußerlich nichts ansieht. Aber das wirst du alles selbst merken.«
»Dann gehen wir jetzt dorthin?«
»Ja, es wird Zeit. Ich möchte nicht mehr zu lange warten. In dieser Nacht vor Walpurgis muß es geschehen sein, um für die wichtige, die nächste, bereit zu sein.«
Sie hatte in Rätseln gesprochen, das wußte auch Jane. Daß sie etwas vorhatten, stand fest, doch sie konnte sich nicht vorstellen, wie es genau ablaufen würde.
Zora wartete auch nicht mehr länger. Sie drehte sich schwungvoll um und ging vor, ohne darauf zu achten, ob Jane ihr nun folgte oder nicht.
Es blieb der Detektivin nichts anderes übrig. Auch wenn sie es nicht gewollt hätte, sie hätte es nicht geschafft. Jane Collins litt unter einem Zwang. Die andere hatte hier das Sagen. Sie erteilte die Befehle, und Jane war nur ein ausführendes Organ, und nur deshalb ging sie hinter Zora her.
Es war ein Weg ins Ungewisse. Hinein in eine Welt, in der sich nicht veränderte. Sie hatte mit der menschlichen Welt nicht gemein, sie war einfach nur vorhanden, aber sie war nicht gefüllt.
Es gab keine Landschaft. Es gab keine Sonne, keinen Mond, keine Sterne, also keinen Himmel. Es existierte ein Boden,
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