1066 - Gesils Punkt
SENECA immer mehr Fehlergebnisse produzierte, was die Berechnungen des Milchstraßenkurses betraf. Wie es sich nun zeigte, schien das ganz in Gesils Interesse zu sein. Darum schlich sich wie von selbst die Idee in Atlans Überlegungen, daß Gesil die Bordpositronik vielleicht schon von allem Anfang an beeinflußt hatte.
War Gesil schon von vornherein darauf aus, die plötzlich so aktuell gewordenen Koordinaten in dieser Kleingalaxie anzufliegen? War sie nur darum an Bord der SOL gekommen, um dieses Ziel zu erreichen?
Atlan hatte sich lange Zeit dagegen gewehrt, die Gedankenkette zu Ende zu denken, denn eine Bejahung dieser Fragen bedeutete in letzter Konsequenz, daß Gesil die Macht hatte, die gesamte Besatzung und sogar die Bordpositronik in ihrem Sinn zu beeinflussen.
Und dies flößte Atlan leises Entsetzen ein.
Er hatte Gesils Einfluß bisher unterschätzt - vielleicht hatte sie ihn sogar verblendet.
Sicher sogar. Er war so geblendet wie alle an Bord, wahrscheinlich sogar noch mehr.
Die Frage, warum es Gesil mit aller Macht in dieses Gebiet zog, drängte sich in den Vordergrund. Was erhoffte sie sich hier?
Er hätte sie fragen können, ahnte jedoch, daß er keine vernünftige Antwort bekommen hätte. Vermutlich hätte Gesil ihn gar nicht wahrgenommen, wenn er sie in ihrer Unterkunft besuchte. Sie hatte sich dort eingeschlossen und war wieder in die Betrachtung von Rhodans Foto vertieft. Alles andere schien sie nicht zu interessieren.
Sie benahm sich wie eine Unbeteiligte, während die Besatzung der SOL und sogar SENECA für die Verwirklichung ihrer Ziele arbeiteten.
Perrys Foto - und der Flug zu Gesils Punkt. Wie paßte das zusammen? Gab es überhaupt eine Verbindung?
Da Gesil schwieg, gab es nur eine Möglichkeit, eine Antwort auf diese Fragen zu bekommen. Er faßte einen Entschluß und teilte ihn Tanwalzen mit.
„Wir fliegen Gesils Punkt an", sagte Atlan.
„Eine kluge Entscheidung", sagte Tanwalzen.
„Ich frage mich nur", meinte Atlan nachdenklich, „ob es meine eigene ist, oder ob Gesil mich dazu gebracht hat."
Als Atlans Entscheidung, Gesils Punkt doch anzufliegen, offiziell wurde, schien ein Aufatmen durch die Kommandozentrale zu gehen. Alle waren erleichtert, als hätte man sie von einer schweren Last befreit. Einschließlich Tanwalzen - und Atlan selbst.
Gesil, du Sphinx, dachte Atlan. Werde ich dein Geheimnis je ergründen? Wer bist du?
Welche Ziele verfolgst du?
Ihre nächste Station war Gesils Punkt.
Vielleicht erhielten sie dort einige Aufschlüsse über diese geheimnisvolle Frau.
*
Die SOL hatte die achtzehn Lichtjahre in einer einzigen Linearetappe überbrückt und das Zielgebiet erreicht. Während noch das Bremsmanöver lief, wurden die ersten Beobachtungssonden für eine Naherkundung ausgeschleust. Gleichzeitig trafen die ersten Daten aus der Ortungszentrale ein.
Ein Vergleich mit den Ergebnissen der Fernortung zeigte, daß es nur in einem eine Übereinstimmung gab. Man fand an Gesils Punkt zwar eine Ansammlung von kosmischen Trümmern, doch bildeten diese nicht einen langgestreckten Schwärm, sondern konzentrierten sich auf ein räumlich eng begrenztes Gebiet.
Atlan schaltete auf Vergrößerung und betrachtete den Kugelhaufen aus Asteroiden verschiedenster Große, der den Panoramabildschirm füllte. Die erste Auswertung ergab, daß es sich um rund tausend Asteroiden handelte. Die größten davon hatte einen Durchmesser von über zehn Kilometern, die kleinsten, die noch zu erfassen waren, maßen annähernd hundert Meter. Sie bewegten sich alle auf unterschiedlichen kreisförmigen Bahnen um einen gemeinsamen Mittelpunkt. Der gesamte Kugelhaufen hatte einen Durchmesser von tausend Kilometern.
„Wie ist es möglich, daß die Fernortung uns ein gänzlich anderes Bild der Gegebenheit lieferte?" wunderte sich Tanwalzen.
„Es ist nur ein weiterer Beweis, daß manipuliert wurde", antwortete Atlan. „Gesil hat uns diese falschen Daten vermittelt."
„Ich verstehe es trotzdem nicht", sagte Tanwalzen. „Wenn sie die Koordinaten hatte, dann müßte sie doch auch die hier herrschenden Bedingungen gekannt haben. Warum hat sie uns dann mit falschen Angaben geködert?"
„Vielleicht besaß sie nur die Koordinaten und das Wissen über die Gruppe von Asteroiden", mutmaßte Atlan. „Ohne jedoch eine Ahnung davon zu haben, daß sie einen solchen Kugelhaufen bilden."
Atlan wurde beim Anblick des kugelförmigen Gebildes aus kosmischen Trümmern unwillkürlich an ein Atomium
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