107 - Tanz der Furie
nur kurz gewährt. Rasch war es dunkel geworden. Es war eine samtschwarze Tropennacht mit wenig Mond- und Sternenlicht, weil der Himmel bewölkt war. Die Blätter von ein paar Palmen rauschten im Nachtwind.
Ich blieb am Feuer sitzen und rauchte meine Pfeife. Te-Ivi-o-Atea würde bei seiner Beschwörung kein Risiko eingehen. Er konnte noch nicht völlig von meiner Harmlosigkeit überzeugt sein, und ich mußte noch etwas von seiner Seite erwarten.
Und wie verhielt es sich mit den Israelis? Waren sie nur Randfiguren oder würden sie eine Rolle spielen bei der Beschwörung? Das waren alles Dinge, die mir durch den Kopf gingen.
Etwa eine Stunde verging, und ich überlegte, ob ich mein Zelt aufsuchen sollte. Da hörte ich ein leises Klingen und Klirren. Ich schaute mich um und erstarrte bei dem fantastischen Anblick, der sich mir bot.
Eine schöne Frau mit langem, schwarzen Haar tanzte auf mich zu. Sie trug nur einen Goldblättchenbikini an ihrem schlanken, ranken Körper. Hinter sich zog sie einen bis zum Boden reichenden weißen Schleier her. Er wirbelte zu ihren Bewegungen durch die Luft. Im Takt einer imaginären Musik kam sie näher. Erst als sie nahe vor mir stand, erkannte ich Ranana Askalon. Sie wirkte völlig fremdartig.
Ranana beugte sich über mich küßte mich auf die Stirn, setzte sich zu mir und schmiegte sich an mich. Ich konnte die Wärme ihres Körpers spüren. Der Flammenschein zauberte Reflexe auf ihre Haut und ließ die Goldplättchen des Bikinis glitzern. In ihren Augen war ein seltsames kaltes Glitzern.
„Komm mit mir, Richard!" sagte sie. „Ich will dir etwas zeigen. Einen ganz besonderen Steinkopf."
Sie nahm meine Hand und zog mich hoch. Ich folgte ihr willig. Sie tanzte vor mir her durch die Nacht. Ihre Füße schienen kaum den Boden zu berühren. Wir kamen am Eingeborenendorf vorbei und liefen auf die Ebene mit den vielen Steinköpfen zu.
Sicher wollte sie zu dem Vago-Moai. Ich hatte den hohlen Kopf des Kommandostabs ausgeklopft und ihn eingesteckt. Wenn es sein mußte, fühlte ich mich für eine magische Auseinandersetzung gewappnet. Auch früher schon war ich für die Dämonen ein nicht zu unterschätzender Gegner gewesen. Aber solche Machtmittel und Kräfte wie jetzt als Hermes Trismegistos hatte ich noch nie gehabt. Te-Ivi-o-Atea würde sich wundern, wenn ihm noch Zeit dazu blieb. Nur beim Gedanken an den geheimnisvollen Vago war mir nicht ganz wohl. Das war eine Sache, die ich nicht abschätzen konnte.
Halmahera hatte von Vago als der Ausgeburt einer anderen fremden Welt gesprochen. Ich wußte nicht, wie ich das verstehen sollte. Es konnte symbolisch gemeint sein; so wie man bei einem Musiker sagte: seine Welt ist die Musik, oder bei einem Maler: er lebe in einer Welt der Formen und Farben.
Vago beunruhigte mich mehr und mehr.
Wir erreichten die Ebene der Steinköpfe. Wie drohende schwarze Schatten ragten sie vor uns in der Dunkelheit auf. Ich hatte keine Lampe dabei, und stellenweise konnte man auf dem unebenen Boden kaum etwas sehen.
Aber Ranana bewegte sich mit nachtwandlerischer Sicherheit. Sie führte mich geradewegs zum Vago-Kopf - oder vielmehr zu jenem Steinkopf, der Vago als Übermittler seiner Nachrichten und als Symbolfigur diente.
„Großer Tatane!" rief Ranana und warf sich auf den Boden. Die Goldplättchen ihres Bikinis klingelten und klirrten.
Bei dem Steinkopf hatte sich allerhand verändert. Ich sah sieben Schächte. Gräber. Bei den offenen Gruben, neben denen noch die ausgehobene Erde lag, standen Grabsteine mit seltsamen Verschnörkelungen. Im Vordergrund lagen menschliche Gebeine durcheinander, die aber schon älter waren. Der Vago-Steinkopf hatte nur noch eine schwache dämonische Ausstrahlung. Vago war nicht in der Nähe.
Ranana stand nun wieder auf und wandte sich mir zu.
„Ich werde heute nacht hier bei einem Ritual tanzen", sagte sie. „Ich bin die wichtigste Person bei diesem Ritual, so wie meine Zwillingsschwester in ein paar Tagen bei dem gleichen Ritual in Jerusalem die Hauptperson sein wird."
„Du hast eine Zwillingsschwester?"
„Natürlich. Sie heißt Judith Askalon und verfügt über übersinnliche Kräfte. Sie kann Gabeln und Löffel verbiegen mit ihrem Blick und Ringe zum Schmelzen bringen. Manchmal stehen wir über weite Entfernung hinweg in Gedankenverbindung."
Das war allerdings eine Überraschung.
„Worum geht es denn bei diesem Ritual?" fragte ich.
Ranana lachte glockenhell.
„Das Ritual, bei dem ich mitwirke, wird in
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