107 - Tanz der Furie
Jerusalem unter umgekehrtem Vorzeichen vollzogen", sagte sie. „Mehr kann ich dir nicht sagen, Richard. Willst du denn mehr wissen?"
„Nein", sagte ich. „Vor allem will ich von hier fort, denn mir ist es hier nicht geheuer."
Das hatte ich nur gesagt, um sie abzulenken. Sie wollte mich auf die Probe stellen, das merkte ich. Ich tat so, als wollte ich fortgehen.
Plötzlich trat Te-Ivi-o-Atea hinter einem Steinkopf hervor und stellte sich mir in den Weg. Jetzt trug er wieder den bunten Kiwimantel, und seine Zähne waren spitzgefeilt.
Ein ganzes Stück entfernt, an der Küste, fand eine Explosion statt. Ein orangefarbener Feuerball erschien am Himmel. Der Donner der Detonation rollte über die Insel.
Das Wasserflugzeug war explodiert. Es war noch reichlich Treibstoff in den Tanks gewesen.
Im Polynesierdorf dröhnten die Trommeln, und andere Musikinstrumente lärmten laut und schrill. Ich sah Fackelschein und Menschen, die sich zur Ebene der Moais hin bewegten.
Anscheinend war der Zeitpunkt der Beschwörung vorverlegt worden.
Te-Ivi-o-Atea deutete mit dem Häuptlingsstab, der am Knauf einen geschnitzten Vogelkopf hatte, auf mich. Er rief etwas in einem Südseedialekt. Ich spürte ein eigenartiges Prickeln in den Gliedern. Ein Gefühl der Schwäche und der Lähmung überkam mich. Ich hätte es ohne allzu große Anstrengung abschütteln können, tat es aber nicht. Te-Ivi-o-Atea sollte glauben, daß er alles fest in der Hand hatte.
„Geh zu der Tänzerin!" sagte er in Befehlston zu mir.
Gehorsam begab ich mich zu Ranana.
Der Südseedämon kam näher und blieb mit verschränkten Armen vor dem Vago-Kopf stehen. Sein Narbengesicht war eine starre dämonische Maske.
Ich ließ die Arme hängen und den Mund etwas offenstehen, so als wäre ich ein willenloser Zombie. Der Zug der Eingeborenen kam näher. Er wurde angeführt von den beiden Medizinmännern. Die Trommeln, Rasseln, Flöten und Hörner lärmten. Zwischen den Eingeborenen gingen die sieben Isarelis von der Forschungsgruppe. Jeder von ihnen hielt einen magischen Goldbarren in der Hand, der im Fackelschein glitzerte und funkelte. Der Blick der Männer und Frauen war starr; sie befanden sich in einer magischen Trance.
Te-Ivi-o-Atea hob den Häuptlingsstab, und Ranana begann zu tanzen. Sie tanzte zwischen den offenen Gräbern. Ihre schöne schlanke, biegsame Gestalt bildete einen Kontrast zu dem finster aussehenden Südseedämon.
Die Polynesier nahmen im Halbkreis Aufstellung vor dem Vago-Kopf. Fackelschein erhellte die Nacht und erweckte die Steingesichter, zu gespenstischem Leben.
Die Eingeborenen stampften mit den Füßen auf, klatschten und traten vor und zurück. Rhythmisch wiegten sie die schweißbedeckten Oberkörper und warfen die Köpfe hin und her.
Ranana tanzte. Ich stand reglos da, und die sieben israelischen Forscher hielten die Goldbarren vor sich. Sie standen vor den Polynesiern, direkt hinter den beiden Medizinmännern.
Einer von ihnen rief etwas, eine Bitte, eine Aufforderung.
Te-Ivi-o-Atea begann mit der Beschwörung. Er rezitierte Worte in einer fremden Sprache, machte Gesten mit den Händen und malte mit den Fingern Symbole in die Luft, von denen manches ein leuchtendes Fanal bildete.
Es war eine starke Magie, die der Südseedämon anwandte. Sie ließ die Luft knistern und erzeugte stellenweise blaue Flämmchen. Diese Flämmchen tanzten auf den höchsten Punkten wie St. Elmsfeuer, taten aber nicht weh. Auch auf meinem Kopf tanzte ein solches Fläminchen.
Die sieben israelischen Forscher schritten nun mit den Goldbarren auf die sieben Schächte zu. Ranana tanzte ekstatisch, und ihr Schleier flog hin und her.
Die sieben stellten sich am Fußende der Gräber auf. Ein lauter Schrei von Te-Ivi-o-Atea, und sie drehten sich um und ließen sich rücklings in die offenen Gruben fallen, steif wie Bretter.
Der Südseedämon rief etwas, und etliche Eingeborene mit Schaufeln traten vor. Sie näherten sich den Gräbern. Ich verstand, was geschehen sollte. Sie wollten die sieben israelischen Gelehrten lebendig begraben, mitsamt den Goldbarren.
Die Musik der Polynesier wurde zu einer wilden Kakophonie.
Der mir am nächsten stehende Medizinmann zog ein langes Messer unter seinem regenbogenfarbenen Umhang hervor und schlich geduckt auf mich zu. Er wollte mich umbringen. Mein Blut war vielleicht nicht nötig, aber ich durfte nicht am Leben bleiben, und mein Tod würde dem Ritual zusätzlich einen düsteren Reiz verleihen.
Das Messer funkelte.
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