1071 - Die Urnen-Gang
liegt in dieser Urne die Asche meines Bruders. Oder sehen Sie eine andere Möglichkeit?«
Suko schaute sich das Foto noch einmal an, während Shao ihren Blick abgewandt hatte.
»Sie gehen also davon aus, Mr. Iron, daß sich in der Urne die Asche Ihres Bruders befindet?«
»Ja.«
»Was macht sie so sicher?«
Percy Iron schaute zur Seite. »Man hat mir ja nicht nur dieses Foto geschickt. Dabei lag noch ein Brief. Dessen Inhalt ist schrecklich, aber er erklärt einiges.«
»Können wir den Brief sehen?« fragte Suko.
»Wenn Sie wollen. Ich habe ihn bei mir.« Er griff wieder in die Innentasche und zog das Papier hervor, das er zunächst auseinander faltete. Suko nahm ihm den Brief aus der Hand. Iron war sehr blaß geworden, und auf seinem Gesicht hatten sich Schweißperlen gesammelt. »Ich möchte ihn nicht mehr lesen, denn ich kenne ihn auswendig. Wenn Sie die Güte haben würden, Mr. Suko…«
»Natürlich.«
»Lies ihn ruhig laut vor«, bat Shao.
Suko tat ihr den Gefallen. Iron war zur Seite gegangen. Er wollte den Text nicht mehr hören.
Suko sprach mit halblauter Stimme. »Es ist die Asche Ihres Bruders, die wir in die Urne haben rutschen lassen. So ergeht es jedem, der sich uns in den Weg stellt. Sie wissen, daß Sie sein Erbe antreten wollen, und wir werden Kontakt mit Ihnen aufnehmen. Denken Sie immer daran, daß auch Sie in ein solches Gefäß passen, nachdem sie geröstet und verbrannt worden sind. Wir werden Ihnen die Urne nicht überlassen. Sie ist für einen anderen Zweck vorgesehen. Behalten Sie das Foto als letzte Erinnerung an Donald.«
Mehr war nicht geschrieben worden, aber der Text reichte aus, um einiges damit klarzustellen.
»Meine Güte, das ist ja schrecklich. So völlig unmenschlich«, flüsterte Shao.
Suko nickte nur schweigend. Das wiederum paßte Shao nicht. »Hast du denn gar nichts zu sagen?«
»Doch«, erwiderte er leise. »Wahrscheinlich denke ich ähnlich wie du. Wir müssen jedenfalls davon ausgehen, daß dieser Brief kein Scherz ist, Shao.«
- »So etwas macht doch niemand.«
Percy Iron hatte sich wieder umgedreht. »So jetzt wissen Sie alles. Ich konnte es einfach nicht mehr für mich behalten. Es mußte raus.«
»Es war gut, daß Sie es getan haben.« Suko gab ihm den Brief und das Foto zurück. Es hatte keinen Sinn, nach Fingerabdrücken zu suchen. Wer so vorging, der war schlau genug, um keine zu hinterlassen.
Iron steckte die beiden Beweisstücke wieder ein. »Sie sind Polizisten, denke ich. Was meinen Sie denn, was dahinterstecken könnte? Glauben Sie an einen Bluff?«
»Ich denke nicht«, sagte Suko.
»Was ist es dann? Die Wahrheit - okay. Aber warum? Was hat mein Bruder getan, um so schrecklich zu sterben? Auf den Rost gelegt. Himmel, vielleicht hat er noch gelebt? Stellen Sie sich das mal vor. So etwas wäre schrecklich. Jetzt habe ich natürlich Angst davor, daß mir das gleiche Schicksal widerfährt.«
Suko stimmte ihm durch sein Nicken zu. »Das kann ich mir denken. Auch deshalb, weil man Sie kontaktieren will.« Er räusperte sich. »Sie sind doch der Steuerberater Ihres Bruders und kennen sich demnach in seinen Geschäften gut aus. Haben Sie keine Hinweise darauf gefunden, daß eine gewisse Gruppe Kontakt mit Ihrem Bruder aufgenommen hat?«
»Nein, das habe ich nicht, Inspektor. Es gibt sie nicht. Außerdem hatte mein Bruder ein Privatleben, das dürfen Sie bei allem nicht vergessen. Ich habe nie gewußt, was er tat und womit er sich privat beschäftigte. Tut mir leid.«
»Wie gingen die Geschäfte?«
Percy Iron winkte ab. »Da gibt es keine Klagen. Sie gingen gut bis sehr gut sogar.«
»Das haben dann auch andere gewußt.«
»Bestimmt. Worauf wollen Sie hinaus?«
Suko zuckte mit den Schultern. »Auf nichts Bestimmtes. Mir sind nur einige Dinge durch den Kopf geschossen. Wenn man jahrelang in diesem Job tätig ist, da kann man nicht mehr so leicht erschüttert werden, obwohl das Schicksal Ihres Bruders wirklich schlimm ist. Aber davon einmal abgesehen, Sie wissen nicht, ob er einen Kontakt zu irgendwelchen obskuren Gruppen gepflegt hat?«
»Nein, Inspektor. Obskure Gruppen?« wiederholte Percy Iron. »Wen oder was meinen Sie damit?«
»Ich denke an das weite Feld der Sekten…«
»Nicht, daß ich wüßte. Mein Bruder und ich haben unsere eigenen Leben geführt. So war Don zum Beispiel nicht verheiratet. Ich schon, bin aber geschieden. Er hatte einen anderen Kreis als ich.«
»War er homosexuell?« wollte Shao wissen.
»Keine Ahnung,
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