1074 - Das Templerkreuz
dennoch zitterten sie leicht unter dem Gewicht eines Menschen.
Der Reporter blieb stehen, drehte sich um und hatte die Glocken nicht mehr vor, sondern hinter sich.
In seinen Augen schimmerte die Furcht, er konnte sie einfach nicht unterdrücken. Besonders jetzt nicht, als er seine Frau sah.
Mühsam kämpfte sich Sheila die letzten beiden Stufen hoch. Dann hatte sie die Plattform erreicht, blieb stehen und wußte zunächst nicht, wohin sie schauen sollte. Sie wollte nicht ihren Mann ansehen, dann wäre sie möglicherweise in Tränen ausgebrochen. Außerdem hatte sie die Hoffnung nicht ganz aufgegeben. Vielleicht gab es noch eine Chance, auch wenn sie persönlich ziemlich fertig war, denn ihre Knie standen dicht davor, nachzugeben. Es lag nicht an ihrer Erschöpfung, sondern mehr an der seelischen Lage. Es war verdammt schwer, mit diesem Druck fertig zu werden.
Der Mann mit dem Messer packte sie. Er griff in den Stoff des T-Shirts am Rücken, knüllte ihn zusammen und zerrte Sheila zu sich heran. Sie fiel ihm praktisch rücklings entgegen. Für einen Augenblick dachte sie daran, daß dieser Typ ihr das Messer quer zur Kehle ziehen und sie auf der Stelle töten wollte.
Er tat es nicht.
Er blieb ganz ruhig. Aber die Messerspitze drückte gegen den Stoff, der sich zwischen ihren Brüsten spannte. »Ich bin noch immer da!« flüsterte er in einem Mischmasch aus zwei Sprachen. »Wie willst du sterben? Durch mein Messer oder durch eine Kugel?«
Sheila schwieg. Es war Wahnsinn, ihm da eine Antwort geben zu wollen. In einer derartigen Lage hatten sich für sie sämtliche Alpträume erfüllt.
»Antworte!«
Bill sprang für Sheila ein. »Nein, laßt sie in Ruhe. Verdammt, sie hat euch nichts getan.«
»Ach ja?« fragte Raoul. »Wer hat denn hier geschnüffelt? Ihr seid es gewesen.«
Bill versuchte es noch einmal. »Wir haben nicht geschnüffelt. Wir haben einem Freund aus England nur einen Gefallen tun wollen. Das ist alles.«
»Ach ja, diesem Maitland.«
»Genau, das ist richtig.«
»Paßt aber nicht, Conolly. Das paßt überhaupt nicht, verstehst du? Es sind mir zu viele Zufälle auf einmal, verstehst du? Wir können euch einfach nicht glauben. Außerdem hätten der Küster oder der Pfarrer das Kreuz niemals hergegeben. So steht deine Behauptung auf verdammt schwachen Beinen.«
»Wir haben das Kreuz auch nur fotografieren wollen, um so einen Beweis zu erhalten.«
»Erzähle mir nichts, verdammt. Es stimmt nicht. Es ist alles nicht wahr. Euch kann nichts mehr retten.« Die nächsten Worte galten Sheila. »Stell dich neben deinen Mann!«
Als Sheila nicht sofort reagierte, fuhr Raoul herum. Es sah aus, als wollte er sie erschießen, und Sheila riß ihre Arme hoch. Zugleich hörte sie den Mann mit dem Messer flüstern: »Tu lieber, was er sagt. Sonst schneide ich dich auf.«
»Okay.« Sie hatte das eine Wort gesprochen, doch es kam ihr nicht so vor. Mehr wie ein Atemzug, der schwach aus dem offenen Mund gedrungen war.
Die Hand mit dem Messer glitt an ihrem Körper entlang. Sheila erschauerte, als der Kerl ihre Brüste dabei berührte und ein helles Kichern hören ließ. Kurz danach gab er einen Kommentar ab, den Sheila allerdings nicht verstand, weil er in Spanisch gesprochen war.
Raoul hatte wieder das Kommando übernommen. »Geh jetzt zu deinem Mann!«
Sheila nickte und gehorchte. Es war leichter gesagt als getan. Sie bekam ihre Beine kaum vom Boden hoch. Die Füße schlurften über das staubige Holz hinweg. Die Sonnenstrahlen gaben ihr kaum Hoffnung, und auch als sie in Bills Gesicht schaute, wußte sie, daß sich daran nicht viel änderte.
Bill wollte sie auffangen, doch Raoul hatte etwas dagegen. »Nein, faß sie nicht an.«
»Ich schaffe das schon!« flüsterte Sheila. Sie fiel gegen die größere Glocke, ohne eines der in der Nähe hängenden Seile zu umfassen. Sie hielt sich an der Glocke fest, die dabei in Bewegung geriet.
Auch der Klöppel schwang. Er schlug gegen die Innenseite. Einmal nur. Ein heller, irgendwo auch blechern klingender Ton, der Sheila an eine Totenglocke erinnerte.
Die beiden Killer standen vor ihnen. Teils im Licht, teils im Schatten. Wie zwei Figuren. Der kleinere mit den krausen Haaren konnten seinen Blick nicht von Sheila lassen. Was ihm durch den Kopf ging, sprach er sehr schnell aus, und wieder in diesem Mischmasch aus zwei Sprachen. »Leg den Typ zuerst um. Danach könnte ich mir oder wir uns die Frau vornehmen. Ich bin sicher, daß wir mit ihr jede Menge Spaß bekommen
Weitere Kostenlose Bücher