108 - Der schwarze Würger
uns erhob sich eine hohe, fast senkrechte Felswand. Von der höchsten Stelle ergoß sich ein Wasserfall zu uns herab. Doch das Wasser war erstarrt, war im Herabf allen zu Eis geworden. Ein gefrorener Wasserfall.
„Was erschreckt euch daran so?" fragte ich.
„Was hier geschehen ist, das kann nur die Yuki-Onna vollbringen", behauptete Akanuma.
„Die Schneefrau?" fragte ich.
„Jawohl", bestätigte Makomo. "Der Wasserfall aus Eis zeigt an, daß hier ihr Reich beginnt. Wir sollten umkehren, Tomotada."
„Kein Wort übel, die Yuki-Onna zu den anderen", sagte ich mit drohendem Unterton, und die beiden Feiglinge nickten. „Ich habe mir schon immer gewünscht, die Schneefrau zu treffen."
Akanuma und Makomo gingen, um die anderen zu holen. Ich begann mit dem Aufstieg über den zu Eis erstarrten Wasserfall. Ich hätte auch den leichteren Weg über die Felswand wählen können, aber ich wollte Yuki-Onna herausfordern und ihr zeigen, daß mich ihre stärkste Waffe, die Kälte, überhaupt nicht beeindruckte. Dabei nahm ich meinen Dolch und das Tomokirimaru zu Hilfe. Ich schlug die Klingen in das Eis und benutzte die Griffe als Steighilfen.
Als ich den Wasserfall bezwungen hatte, trafen die beiden Kundschafter mit den anderen ein.
„Sucht eine Höhle für die Pferde und laßt sie dort zurück!" rief ich hinunter. „Von nun an müssen wir ohne sie auskommen."
Ich drehte mich um und starrte auf das Land hinter dem Wasserfall. Es war eine Hölle aus Eis und Schnee. Dichtes Schneetreiben versperrte die Sicht. Ein eisiger Sturm zerrte an mir.
„Ich nehme deine Herausforderung an, Yuki-Onna!" schrie ich über den Sturm hinweg.
Breitbeinig stand ich da und wartete auf eine Antwort. Außer dem Heulen des Sturmes und dem Knistern der Schneekristalle auf meiner Maske war nichts zu hören. Ich spürte, wie der Schnee sich zwischen den Maskenrand und mein Nicht-Gesicht schob. Die Schneekristalle traktierten meine Haut.
Ich rührte mich nicht. Ein Orkan packte mich, hätte mich fast zu Boden geschleudert. War das die Antwort der Schneefrau? Ich lachte ungestüm. Mit diesen Waffen konnte die Yuki-Onna einen Tomotada nicht bezwingen.
Für Momente war das Schneetreiben so dicht geworden, daß man nicht einmal die Hand vor den Augen sah. Jetzt lichtete sich die weiße Wand, und ich hörte hinter mir das Stapfen von Füßen.
Kito, Kaoku, Genji und noch drei Männer tauchten auf.
„Wir haben die Pferde in einer Höhle untergebracht", berichtete Kito.
Er war noch immer nur mit der kurzen Felljacke bekleidet, die vorn offen stand, so daß seine graubehaarte Brust zu sehen war. Ihm schien die Kälte nichts anzuhaben, und ich fragte mich, ob er vielleicht etwas mit der Yuki-Onna zu schaffen hatte. War er vielleicht der Wächter der Eiswelt? „Wo sind Akanume und Makomo?" fragte ich.
„Sie wollten sich aus dem Staub machen", sagte Kito schlicht; er brauchte nicht erst hinzuzufügen, daß er sie daran gehindert hatte, und zwar auf seine spezielle Weise.
„Wie weit ist es noch bis zum Versteck der Bergamme?" fragte ich.
„Heute erreichen wir sie nicht mehr", antwortete Kito. „Wir müssen uns einen Lagerplatz suchen. Aber im Laufe des morgigen Tages mußten wir unser Ziel erreichen - falls wir diese Eishölle überleben."
„Du leidest überhaupt nicht unter der Kälte, Kito", sagte einer der Männer.
Er hatte sich in ein Fell gewickelt. Sein Gesicht hatte sich vor Kälte bläulich verfärbt, und die Narben seines Gesichtes traten wie dunkle Geschwülste hervor.
„Ich bin in den Bergen aufgewachsen", war alles, was Kito darauf zu sagen hatte.
Ich überließ ihm die Führung, blieb aber hinter ihm. Mein Mißtrauen war geweckt. Falls er irgendeine Hinterlist versuchen sollte, würde er damit nicht weit kommen.
Wir kämpften uns durch den Schneesturm an den Felswänden entlang und einen breiten Gletscher hinauf. Auf Kitos Anraten banden wir uns mit Stricken aneinander, damit wir uns nicht verlieren konnten. Einmal fiel der blinde Genji in eine verwehte Gletscherspalte. Als wir ihn herauszogen, war er erfroren. Seine Glieder waren völlig steif. Als ich seine Arme massierte und versuchte, einen davon zu bewegen, brach ich ihn ihm.
Genjji spürte nichts mehr davon. Er war längst tot. Aber er machte ein seliges Gesicht, so als hätte er im Augenblick des Todes etwas Wunderbares gesehen.
„Das geht nicht mit rechten Dingen zu", behauptete Kaoku. „Wir haben den Biwaspieler sofort wieder herausgeholt. So schnell erfriert
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