108 - Der schwarze Würger
sie enttäuschen mich immer wieder."
Ich meinte, zu träumen. Und doch wußte ich, daß dies kein Traum sein konnte. Denn meine Träume waren böse wie ich. In meinen Träumen machte ich immer wieder all das durch, was ich im Leben bisher an Schlechtem vollbracht hatte. Noch nie hatte ich einen so lieblichen Traum gehabt.
„Ich fühle - ja, Tomotada, ich kann starke Gefühle empfinden. Ich nehme am Schicksal anderer teil. Und ich fühle, daß in dir ein guter Kern steckt."
Ich hätte auflachen können. Wenn ihr ihre magischen Sinne wirklich verrieten, daß in mir ein guter Kern steckte, dann konnten damit nur meine früheren Leben gemeint sein.
„Ich will mit dir nicht so wie mit den anderen verfahren. Du sollst Gelegenheit zu einer Bewährungsprobe haben. Ich lasse dich am Leben. Doch verlange ich, daß du zu niemandem darüber sprichst, was du in dieser Nacht im Yuki-akari gesehen. Sei gewiß, daß ich von deinem Verrat erfahren würde! Solltest du zu irgend jemandem über die Begegnung mit mir sprechen, würde ich dir auf der Stelle das Leben nehmen."
Die Eiskrieger hatten sich zurückgezogen. Der Schneeschein in der Höhle erlosch. Aber die Yuki- Onna war noch da.
„Ich würde dich gern küssen, Tomotada, aber ich habe versprochen, dich am Leben zu lassen. Vielleicht ein andermal."
Und weg war sie.
Als ich am anderen Morgen erwachte, hatte das Schneetreiben aufgehört. Ich mußte mir durch die übermannshohen Schneewehen erst einen Weg ins Freie kämpfen. Als ich das geschafft hatte, empfing mich draußen strahlender Sonnenschein.
Ich überwand noch an diesem Tag den tief verschneiten Paß und machte mich auf der anderen Seite des Berges an den Abstieg. Bald hatte ich die Schneegrenze hinter mir gelassen und kam in ein Tal, das sich mir im schönsten Frühlingskleid darbot.
Sofort erwachte der Haß auf die Welt und alles Schöne in mir; ich konnte nicht anders, als mit meinem Tomokirimaru die Pflanzenpracht zerstören, wo immer sie mir zu aufdringlich erschien.
Da entdeckte ich eine ärmliche Hütte, aus der Rauch aufstieg. Die Tür öffnete sich, und heraus trat ein Mädchen.
Es war Tomoe.
Nein, sie konnte es nicht sein. Tomoe war tot. Ich selbst hatte ihren Tod verschuldet, als ich den dreiäugigen Mönch köpfte, in dessen Bann sie sich befunden hatte.
Die Innenseite meiner Maske zeigte mir die Ereignisse von damals noch einmal. Ich sah wieder den häßlichen Schädel des Mitsu-me Nyudo rollen, Tomoe, die längst schon in die Abhängigkeit des dreiäugigen Mönchs geraten und durch unsichtbare, magische Bande mit ihm verbunden war, mußte sein Schicksal teilen. Ich erlebte ihren Todeskampf erneut mit. Es war furchtbar gewesen.
Warum schmerzte mich ihr Verlust dermaßen, obwohl ich doch nicht in der Lage sein konnte, Liebe zu ihr zu empfinden? Ich war überhaupt keiner Gefühle fähig. Und doch hatte ich bei ihrem Tod gelitten.
Nun sah ich sie vor mir. Sie trug einen Zwergbaum in den Händen und stellte ihn links von der Hütte ab.
Ihre Bewegungen waren artig, als vollzöge sie ein Zeremoniell. Was für einen schillernden Charakter sie hatte! Ich hatte sie kämpfen gesehen, hatte ihre Leidenschaft im Kampf und auf der Bodenmatte erlebt.
Doch sie war tot.
Ich stand wie gebannt da. Jetzt erhob sich Tomoe. Ihr Kopf wandte sich mir zu. Sie erblickte mich. Ihr Gesicht blieb ausdruckslos. Kein Lächeln huschte über ihre Lippen. Sie zeigte keine Zeichen der Wiedersehensfreude.
Langsam kam ich näher. Meine Hände streckten sich ihr wie von selbst entgegen. Ich wurde immer schneller, bis ich lief.
Ich erreichte sie und hätte sie beinahe umgerannt, ergriff sie in den Hüften und hob sie hoch. Sie war leicht wie eine Feder. Ganz deutlich konnte ich unter meinen Fingern ihre Rippen spüren. Aber daß ich sie überhaupt anfassen konnte!
Sie war kein Trugbild.
„Du lebst, Tomoe?" fragte ich verblüfft.
Ich konnte mein Erstaunen nicht verbergen, was selten genug geschah. Sonst konnte mich nicht so bald etwas aus der Fassung bringen.
„Du bist es wirklich, Tomoe?" fragte ich.
„Du glaubtest, ich sei tot", sagte sie, wand sich aus meinen Armen und wandte sich der Hütte zu. Neben dem Eingang blieb sie stehen und verneigte sich, um mir den Vortritt zu lassen.
Ich betrat die ärmliche Hütte. Neben einer im Boden versenkten Feuerstelle stand eine Wasserschale. Es schien, als hätte sie Besuch erwartet. Mich?
Ich ließ mich neben der Feuerstelle nieder und wusch mir gedankenverloren die
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