1080 - Hexenwald
ist.«
»Dann laß mal hören.«
Dagmar Hansen, die auch zu den Psychonauten gehörte, stellte die Tasse wieder ab. »Ich kann dir auch nur sagen, was ich gehört habe und was von Harry angerissen wurde. Er hat mir das Foto beschrieben, das die Kollegen von der Leiche geschossen haben. Sie wurde ja angeschwemmt. Hier hat es wahnsinnig viel geregnet. Das Bild oder der Mann darauf sah aus, als wäre er dabei, sich zu verändern…«
»Wie genau?«
Sie erzählte mir jetzt, was sie wußte. Viel war es nicht, denn Harry hatte sich ziemlich kurz gefaßt.
Oder auch fassen müssen, denn viel hatte er nicht gewußt. Er hatte erst am Anfang gestanden, aber es mußte der richtige Weg gewesen sein, denn nun mischte er voll mit. Möglicherweise. Falls man ihn nicht ausgeschaltet hatte.
Genau das befürchtete Dagmar und wies mich mehrmals darauf hin. »Ich kann mir vorstellen, daß er in eine Falle getappt ist.«
»In wessen?«
»Keine Ahnung. In die Falle der Person, die hinter allem steckt und die Dinge lenkt. Etwas anderes kann ich mir nicht vorstellen. Aber wer das sein könnte, weiß ich nicht.«
Ich kam noch einmal auf das Foto zu sprechen und wollte erneut die Beschreibung haben.
Dagmar tat mir den Gefallen. Viel mehr als beim erstenmal konnte sie nicht sagen. Wieder kam sie auf die Verwandlung zu sprechen. Der Tote war dabei, nicht normal zu verwesen. In ihm steckte etwas anderes. Seine Beine mußten sich verändert gehabt haben. Aus dem Körper war etwas gedrungen. Ein Stück Natur, wie sie sarkastisch bemerkte.
»Blätter«, sagte ich.
»Zum Beispiel.«
»Und die Haut könnte sich so verändert haben, daß sie aussieht wie Baumrinde oder meinetwegen auch eine Pflanze. Kann man das sagen, Dagmar?«
»Bitte, wenn du willst. Ich habe das Foto leider selbst nicht gesehen, aber man kann wohl davon ausgehen.« Sie fixierte mich. »Warum trampelst du darauf herum, John? Hast du einen bestimmten Verdacht? Bist du der Lösung schon etwas näher?«
»Nein, das nicht. Wäre auch zu schön. Aber von einem Verdacht kann ich schon sprechen.«
»Dann rück raus damit.«
»Mandragoro, Dagmar. Du weißt, wen ich damit meine.«
»Sicher!« zischelte sie und drückte ihren Körper gegen die Stuhllehne. »Der Umweltdämon.«
»Richtig.«
Plötzlich konnte sie wieder lächeln. »Wenn das so ist, brauchen wir ja keine Angst zu haben. Hast du nicht erklärt, daß Mandragoro auf deiner Seite steht?«
Ich winkte ab. »Bitte, Dagmar, das darfst du nicht falsch verstehen. Nicht unbedingt auf meiner Seite. Wir haben uns akzeptiert. Ich kann ihn verstehen, doch ich bin nicht damit einverstanden, wie und mit welchen Methoden- er oft zum Ziel gelangt. Da unterscheiden wir uns schon. Außerdem steht nicht fest, daß er derjenige ist, der für alles die Verantwortung trägt. Er kann sie weitergegeben haben.«
»Ach. An wen denn?«
Ich zuckte die Achseln. »Das ist eben die große Frage, Dagmar. Einer wie Mandragoro sucht sich immer Helfer, denen er dann gewisse Freiheiten läßt. Ich kann mir vorstellen, daß er sich, falls er überhaupt hinter allem steckt, im Hintergrund hält. Wenn ich mir allerdings deine Beschreibung noch einmal durch den Kopf gehen lasse, dann könnte Mandragoro durchaus seine Fäden gezogen haben und wir damit in ein Gebiet geraten, in dem er oder einer seiner Diener das Sagen hat.«
»Es liegt in der Eifel, John, und gar nicht weit von hier. Wir können in einer Stunde dort sein. Harry hat dort auch übernachtet. Vielleicht können wir uns im Ort umhören.«
»Hm…« Ich war mit meinen Gedanken woanders. »Die Leiche hat aber ein Junge gefunden, sagtest du?«
»Klar.«
»Hat dir Harry den Namen gesagt?«
»er heißt Jens Küppers. Glaubst du, daß wir mehr über den Fall erfahren können, wenn wir mit ihm sprechen?« Sie schüttelte den Kopf. »Ich glaube es nicht. Der Junge hat Harry auf ein bestimmtes Waldstück hingewiesen. Außerdem hat er ihm die alte Legende von dieser Hexenfrau erzählt, die im Wald leben soll. Seit dem Fall in Oberstdorf glaube auch ich an Hexen oder ähnliche Gestalten.«
»Der Wald also?«
»Klar.«
»Okay, dann haben wir wenigstens ein Ziel. Ich fange allmählich auch an, unruhig zu werden. Zwei Tage sind eine lange Zeit.«
»In denen viel geschehen kann.«
»Du sagst es, Dagmar.«
***
Zwei Tage und auch zwei Nächte!
Daran dachte auch Harry Stahl, der diese Zeit hinter sich hatte, die ihm vorgekommen war wie ein gräßlicher Alptraum, der letztendlich keiner war.
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