1081 - Die Mutprobe
selbst die Initiative.
Er öffnete die Hintertür. Sie gab Geräusche ab, die leider nicht zu vermeiden waren. Sukos Lippen verzogen sich. Er war auch darauf gefaßt, angegriffen zu werden, aber es gab keinen, der auf ihn gelauert hätte. Suko konnte das Haus verlassen - und schrak zusammen, als er das ratschende Geräusch hörte.
Mit dem rechten Fuß war er gegen einen kleinen Futternapf gestoßen, der auf alten Steinen stand.
Im Napf lagen die Reste einer Katzenmahlzeit, und in der herrschenden Stille hatte das Geräusch doppelt so laut geklungen.
Suko überstieg den Napf, als er sicher war, daß sich niemand in der Nähe aufhielt. Seine Sinne waren angespannt. Er konnte sich vorstellen, daß die Dunkelheit für den lauernden Mann einen sicheren Schutz bot, aus dem hervor er blitzschnell angreifen würde.
Noch war nichts zu sehen. Kein Schatten, der durch den Garten huschte, keine Schritte, kein Flüstern, kein Atmen. Die nächtliche Stille hielt das Gelände umfangen. Schon zart malte sich die Sichel des Halbmondes ab, dessen Licht den Erdboden nicht erreichte.
Die Tür fiel hinter ihm zu, blieb aber angelehnt. Suko konnte sich die Richtungen aussuchen. An der Hinterseite des Hauses sah es nicht viel anders aus als vorn. Er versuchte, sich in die Gedankengänge des Fremden hineinzuversetzen. Wenn er die beiden Besucher gesehen hatte, mußte er davon ausgehen, daß sie nach ihm suchten. Und wahrscheinlich, da er an der Rückseite erschienen war, würden sie auch dort mit ihrer Suche anfangen. Deshalb war es durchaus möglich, daß er sich an der Vorderseite aufhielt und auf dem normalen Weg ins Haus eindrang.
Suko riskierte es. Er kümmerte sich nicht um den hinteren Bereich, sondern schlich um das Haus herum, um an die Vorderseite zu gelangen. So hoffte er, hinter den Rücken des Fremden zu gelangen.
Suko bewegte sich so gut wie lautlos. Er ließ sich Zeit und achtete auf irgendwelche Hindernisse.
Leicht geduckt ging er direkt unter der Regenrinne her. Der Boden war weich. Unkraut sproß hervor, und in der Dunkelheit sah der Vorgarten kaum anders aus als der an der Rückseite.
Auch die Mauer war gut zu sehen. Ihre Steine schimmerten wie bleiches Gebein, das aufeinander gestopft lag.
Noch immer bewegte er sich allein vor. Der andere zeigte sich nicht. Es war still. Er hörte kein Atmen, kein Räuspern und auch keine Schritte.
Schon längst lag der Bereich des Eingangs in seinem Blickfeld. Es gab da einen Regenschutz als kleines Dach, und die Haustür selbst lag in einer Nische.
Suko ging jetzt schneller. Im Vorgarten tat sich nichts. Dort stand niemand. Der leichte Nachtwind spielte mit den wilden Gewächsen und ließ die Stiele einiger Sonnenblumen leicht schwanken.
Suko fand ihn an der Tür. Im Eingang. Zuerst hörte er das laute Atmen, dann sah er ihn selbst, und er ließ die Waffe stecken, denn der Mann löste sich aus dem Schatten der Nische. Einen unsicheren Schritt war er zurück gegangen. Er sah Suko nicht einmal von der Seite her kommen und starrte nur die Tür an.
»He, du!«
Der andere blieb stehen. Starr jetzt. Suko ging noch einen Schritt näher und konnte ihn besser sehen.
Der Mann sah noch jung aus. Viel älter als Zwanzig konnte er nicht sein. Er trug eine Lederjacke und hatte das blonde Haar bis über seine Ohren hängen und genau in der Kopfmitte gescheitelt.
Der Gesichtsausdruck gefiel dem Inspektor nicht. Er zeigte eine Mischung aus Entschlossenheit und zugleich auch das Gefühl der Angst. Dieser junge Mann mußte wohl mit seinen Gefühlen kämpfen.
Er ging nicht zurück und schaute Suko an. Den Mund bekam er nicht zu. Heftig saugte er den Atem ein, aber er war nicht in der Lage, eine Erklärung abzugeben.
»He, wer bist du?«
»Nein, gehen Sie weg!«
»Ich will wissen, was du hier zu suchen hast.«
Der Mann schaute auf das Haus. »Du willst zu Milena?«
»J… ja!«
»Und was weiter?«
»Nichts mehr, nur zu ihr. Ich bin… ich muß…«
Suko ließ ihn nicht zu Ende reden. Er fragte: »Sollen wir nicht gemeinsam hingehen?«
»Ja. Nein, das ist nur für mich.«
Er war durcheinander. Einer, der gar nicht richtig wußte, was er tat. Der in der Wirklichkeit stand, tatsächlich aber in seinen Träumen schwebte.
»Sie machen es mir nicht leicht«, sagte Suko. »Haben Sie denn auch einen Namen?«
»Ich bin Mike.«
»Und Sie kennen Milena?«
»Irgendwie noch nicht.«
»Aber in der Nacht wollten Sie zu ihr?«
»Ja.«
Suko hätte diesen Mike gern nach dem Grund gefragt.
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