1081 - Die Mutprobe
Säulen standen noch und das Dach war ebenfalls nicht zerstört.
Beide blieben im Auto sitzen.
Beide schwiegen.
Mandy Mannox war eine junge Frau, deren blonde Haare ihre natürliche Farbe verloren hatten. Sie waren jetzt rötlich bis hin zu den Spitzen, die am Rücken endeten. Sie trug dunkle Kleidung, und nur um ihren Hals hatte sie eine Kette aus Hunde- und Katzenzähnen gehängt. Eine dunkle Windjacke, eine schwarze Bluse, die Hose ebenfalls schwarz, so schien sie zu einem Gewächs der Nacht herangewachsen zu sein. Mehrere dünne Ringe steckten im linken Ohr, und auch im rechten Nasenloch schimmerte ein Ring.
Ruben Moreno war ebenfalls ein Schwarz-Fan. Lederjacke, Pullover, Hose - alles in Schwarz. Wie auch die eng anliegenden Lederhandschuhe. Sein Haar hatte er bis auf wenige Stoppeln abgeschoren, so daß dieser dünne Schnitt jetzt wie ein dunkler Schatten auf der Kopfhaut lag. Er war ziemlich groß, hager und das übertrug sich auch auf sein Gesicht, bei dem sich die Haut dünn über die Knochen spannte. Tief in den Höhlen liegende Augen gaben ihm etwas Unheimliches. Auch deshalb, weil um die Augen herum Schatten lagen. Eine hohe Stirn, eine kurze Nase, dafür wieder ein breites Kinn.
Hart sah Mandy nicht aus. Eine nette junge Frau mit einem runden Gesicht und dicken Wangen.
Eigentlich paßten die beiden nicht zusammen, doch das gemeinsame Wollen hatte sie zusammengeführt. Da war auch noch die Sucht nach dem Unheimlichen. Nach Dingen, die es nicht geben konnte oder sollte, die aber trotzdem vorhanden waren. Jedenfalls hatten sie das gehört.
»Und jetzt?« fragte sie.
»Wir warten.«
»Worauf?«
Buben winkte ab. »Das weiß ich auch nicht genau. Wenn alles stimmt, dann ist er heute da. Da sitzt Mike am Grab und hält Nachtwache. Die Mutprobe war abgesprochen.«
»Wir hätten ihm vertrauen sollen.«
»Wieso denn?«
»Das war abgemacht.«
Buben Moreno kicherte. »Abgemacht. Wenn ich das schon höre. Nein, Kontrolle ist besser, glaube mir. Kontrolle ist super. Das kenne ich - ehrlich.«
»Aber er wird sauer sein, wenn wir plötzlich da erscheinen.«
»Bist du denn des Wahnsinns? Der wird uns nicht sehen. Wir halten uns zurück. Wichtig ist nur, daß er neben dem Grab hockt und seine Wache hält. Alles andere kannst du vergessen. Oder willst du nicht, daß er herausfindet, ob es wirklich stimmt, was man sich erzählt?«
»Komisch ist mir schon«, gab Mandy zu.
»Hä? Willst du kneifen?«
»Das habe ich nicht gesagt.«
»Aber du stehst nicht mehr dahinter?«
Ruben Moreno schaute Mandy fordernd an. Sie wußte es, doch sie kümmerte sich nicht darum. Sie suchte nach einer Antwort, die ihn zufriedenstellen würde. Es war schwer, ihm die Lage zu erklären, und sie begann mit einem Schulterzucken.
»Was ist denn jetzt?«
»Du wirst mich nicht verstehen können, Ruben. Wir haben lange darüber geredet. Wir haben uns vorbereiten können, und jetzt sind wir auch am Ziel.«
»Ist ja nicht zu übersehen.«
»Klar, aber ich weiß nicht so recht. Ich habe plötzlich ein ungutes Gefühl.«
»Angst, wie?«
»Genau. So kann man es auch nennen.«
Moreno sagte nichts. Aber wie er die Lippen zusammenkniff, ließ darauf schließen, daß er sich darüber ärgerte. Er fluchte auch. Bevor er sich aufregen konnte, fiel ihm Mandy ins Wort. »Ich habe nicht gesagt, daß ich einen Rückzieher mache. Mir ist nur nicht wohl bei der Sache hier. Verstehst du das nicht?«
»Nein, aber ich bin auch keine Frau.«
»Das mußte ja kommen, du Macho. Spiel dich doch nicht auf. Du hättest ja den Anfang machen können. Hast du es getan? Nein, denn du hast Mike vorgeschickt.«
»Moment, wir haben gelost.«
»Wobei du betrogen hast.«
Moreno lachte, bevor er fragte: »Weiß das auch Mike?«
»Nein, ich habe ihm nichts davon gesagt.«
Ruben schlug ihr auf die Schulter. »He, du bist ja gut.«
»Hör auf damit.«
»Okay. Sollen wir jetzt oder nicht?«
»Klar, gehen wir.«
»Na also.«
Beide stiegen aus, verließen aber nicht sehr forsch Morenos Auto, sondern recht langsam. Wir zwei Fremde, die sich erst umschauen wollten. Mandy nagte dabei an ihrer Unterlippe. Die Gedanken konnte sie nicht verdrängen. Sie waren einfach da, und sie würden auch immer wieder an sie herangetragen werden.
Auf der Fahrt zum Ziel war es zwar dunkel, aber nicht so dunstig gewesen. Der Nebel hatte kurz vor dem Friedhof zugenommen. Er war zwar nicht so dicht, daß nichts zu erkennen war, aber die grauen Schleier wehten schon am Mauerwerk
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