1085 - Rattenliebe
für die Frau reserviert war.
Noch war sie nicht gekommen. Ich grübelte darüber nach, wie lange ich ihr noch Zeit geben sollte.
Es konnte auch sein, daß Jane einem Irrtum aufgelaufen war und sich die Dinge schließlich als harmlos herausstellten. Wetten wollte ich darauf nicht.
Etwas mehr Wind und damit auch eine frische Luft drang in das Lokal hinein. Jemand hatte beim Eintreten den Vorhang zur Seite geschoben. Ich mußte mich recken, um zur Tür schauen zu können und sah tatsächlich eine Frau.
Sie hatte das Lokal betreten. War eingehüllt in einen langen dunklen Mantel, den sie auch nicht auszog. Sie blieb nahe der Tür stehen und blickte sich erst einmal um. Nicht so wie eine Fremde, sondern mehr wie eine Person, die erst das Gelände sondieren will. Natürlich schaute sie auch in meine Richtung.
Ob sie mich entdeckt hatte, war nicht festzustellen, aber sie schlug den Weg zu ihrem Stammplatz ein. Sie bewegte sich lässig. Der offene Mantel schwang bei jedem Schritt um ihren Körper, und allmählich sah ich sie klarer, denn sie verließ den Dunstkreis des Zigarettenqualms.
Tatsächlich, eine Ähnlichkeit mit der Schauspielerin Jamie Lee Curtis war vorhanden. Das etwas schmale, nicht uninteressante Gesicht. Die kurzen, blonden Haare. Auch von der Figur stimmte es.
Sie trug unter dem Mantel einen helleren Pullover, und eine schwarze oder blaue Samtjeans umspannte den Unterkörper.
Neben der Bank blieb sie stehen. Aus den Augenwinkeln bekam ich mit, daß der Wirt uns beobachtete.
Die Frau lächelte mich an. »Hat man Ihnen nichts gesagt?« fragte sie leise.
»Doch, der Platz hier ist für Sie reserviert.«
»Eben.«
»Ich dachte, es wäre Platz genug für zwei.«
Jetzt kam es darauf an, wie sie reagierte. Ich ließ mir meine Spannung nicht anmerken und behielt auch das etwas fragende Lächeln bei. Mit einer leichten Handbewegung strich sie über ihr Haar, ließ dabei ihre Blicke prüfend über meine Gestalt gleiten, und in ihren Augen sah ich ein leichtes Schimmern.
Hatte ich gewonnen?
Ja, ich hatte.
»Also gut, Mister, ich habe es mir überlegt. Sie haben recht. Auf der Bank ist wirklich Platz für zwei Personen. Gestatten Sie denn, daß ich mich zu Ihnen setze?«
»Aber gern - bitte.«
Sie wollte rechts neben mir sitzen und deshalb ließ ich sie durch, nachdem sie ihren Mantel ausgezogen hatte. Wir waren uns für einen Moment sehr nah. Ich nahm ihren Geruch oder den von Parfüm wahr, das meiner Ansicht nach etwas rauchig roch.
Sofort wieselte der Wirt herbei. Für mich hatte er keinen Blick. Er schaute nur die Frau an.
»Hi, Teresa, wie immer?«
»Ja.«
»Was trinken Sie denn?« fragte ich. »Bestimmt kein Bier, denn so sehen Sie nicht aus.«
»Stimmt. Ich habe hier meinen Spezial-Drink, der nur für mich gemixt worden ist.«
»Wie heißt er?«
»Rattengift!«
Mit dieser Antwort hatte ich nicht gerechnet. Beinahe hätte ich mich verschluckt.
»Haben Sie was?«
»Nein, nicht direkt. Nur der Name ist schon außergewöhnlich.«
In ihrem Gesicht regte sich nichts, als sie die Achseln zuckte. »Was will man machen? Ich habe mir den Namen ausgesucht und dem Wirt auch das Rezept überlassen. Es stehen immer einige Flaschen für mich bereit. Sie werden den Drink gleich sehen können.«
»Da bin ich gespannt.«
Der Wirt servierte ihn in einem schmalen Glas. Ich kannte die Form aus Deutschland, die Kölner tranken daraus ihr Kölsch. Nur schimmerte dort kein obergäriges Bier, sondern eine Flüssigkeit, die grün und lila aussah.
»Und das schmeckt?« fragte ich.
»Klar.« Sie hob ihr Glas an. »Wie Rattengift.« Vor meinen Augen trank sie einen langen Schluck.
Die sirupähnliche Flüssigkeit rann zäh in ihre Kehle. Bis zur Hälfte leerte sie das Glas. Der Drink war geruchlos. Zumindest für mich.
Sie stellte das Glas wieder hin. »Ich heiße übrigens Teresa. Und du?«
»John.«
»Knapp und kernig.«
»Klar und zeitlos.«
Sie lachte. »Ehrlich, du hast Humor. Wie wäre es mit einem Schluck, John?«
Ich winkte ab. »Sei mir nicht böse, Teresa, aber ich bleib lieber bei meinem Bier.«
»Kann ich auch verstehen.«
Ich deutete auf ihren Drink. »Warum hat du ihn gerade Rattengift genannt?«
»Das ist ganz einfach. Weil ich Ratten mag.« Sie hatte mir bei ihrer Antwort in die Augen geschaut.
»Du etwa nicht?«
Ich hob die Schultern. »Was soll ich dazu sagen? Mein Fall sind sie zumindest nicht.«
»Wie bei vielen Menschen«, sinnierte sie und schaute auf den schmalen Handlauf.
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