1085 - Rattenliebe
»Aber die Leute wissen gar nicht, was ihnen entgeht. Ratten sind wunderbare Tiere. Sehr schlau, sehr intelligent, und sie sind auch Allesfresser. Ich behaupte sogar, daß sie den Menschen überlegen sind. Die Menschen haben es nie geschafft, sie auszurotten, und es wird auch weiterhin Ratten geben, das schwöre ich dir. Man kann sie nicht ausrotten. Sie haben alles überlebt, und sie werden auch weiterhin alles überleben. Selbst die schlimmsten Katastrophen.«
»Daß sie auch Krankheiten verbreiten, daran denkst du nicht?« setzte ich nach.
»Die Menschen sind selbst schuld. Sie müssen eben achtgeben. Wenn sie es nicht tun, haben sie Pech gehabt.« Sie lächelte mich breit an. »Ich jedenfalls mag sie.«
»So genau habe ich mich nicht mit ihnen beschäftigt, wenn ich ehrlich sein soll.«
»Ich mache dir auch keinen Vorwurf. Womit beschäftigst du dich dann?«
Auf diese Frage war ich vorbereitet gewesen, deshalb hatte ich mir die Antwort schon zurechtgelegt.
»Ich bin so etwas wie ein Verkäufer oder Vertreter. Aber nicht für Rattengift«, scherzte ich.
»Sondern?«
Ich hob die linke Hand. »Hier in der Nähe gibt es eine Müllkippe. Meine Firma stellt Verbrennungsanlagen her. Ich hörte, daß die Stadt hier einiges erneuern will, weil die Anlage nicht mehr hundertprozentig den Umwelt-Anforderungen entspricht. Da habe ich mir die Anlage heute eben angeschaut und bin schließlich hier gelandet. Das ist alles. Ich bin ein völlig normaler Mann.«
»Verheiratet?«
»Auf keinen Fall.«
»Schön.«
Dieses eine Wort hatte mich schon auf den Weg gebracht. »Warum sagst du das?«
»Weil ich es auch nicht bin.«
»Gratuliere.«
»Danke. Wir sind frei.«
»Das sehe ich auch so.«
»Und wir können tun und lassen, was wir wollen.«
»Kein Widerspruch.«
»Dann sollten wir uns auch danach benehmen.«
Mein Herz schlug etwas schneller. Das war schon ein direktes Angebot, aber ich ging zunächst nicht darauf ein. »Was meinst du damit? Denkst du an die Freiheit, hier einen Drink nehmen zu können, ohne von einem ärgerlichen Ehepartner gestört zu werden?«
»Zum Beispiel.«
»Da hast du recht.«
Sie trank noch einen Schluck, rückte dann etwas von mir weg, drehte sich mir allerdings zu, damit sie mich anschauen konnte. Ihre Augen hatten sich leicht verengt. Sie ließ auch den Blick nicht von mir und fragte: »Gefalle ich dir?«
Ich trank, lachte und sagte dann: »Wem würdest du nicht gefallen? Da bist verdammt attraktiv.«
»Klasse, danke. Obwohl ich Ratten mag.«
»Ich mag Hunde.«
Ihr Lachen klang diesmal echt. »Ja, du hast Humor. Ich mag Menschen mit Humor.«
»Ich auch.«
Ihre linke Hand lag plötzlich auf meinem Oberschenkel. Ich sah ihre langen Finger und auch die dunkel lackierten Nägel. Sie und die Finger glichen schon Krallen. Sanft strichen sie über meinen Oberschenkel hinweg. »Der Abend ist zwar spät, aber die Nacht ist noch lang, John. Du bist unabhängig, ich bin es ebenfalls, was hindert uns daran, die nächsten Stunden gemeinsam zu verbringen?«
Ich schaute sie an und sah ihren verhangenen Blick. »Ja, was hindert uns daran? Im Prinzip nichts.«
»Sehr richtig.«
Ich zuckte mit den Schultern und gab mich leicht verlegen. »Ich bin hier fremd. Was schlägst du vor? Du kennst dich aus…«
»Hier sollten wir nicht bleiben…«
»Wir könnten zu meinem Hotel fahren.«
Mit der freien Hand winkte sie heftig ab. »Nein, John, ich mag keine Hotels. Sie sind so anonym.«
»Da hast du recht.«
Sie ließ ihre Finger wieder über meinen Oberschenkel wandern. »Dann bliebe nur eine Bleibe, wir könnten es bei mir versuchen.«
Ich tat überrascht. »Bei dir?«
»Ja, warum nicht? Möchtest du nicht?«
»Und ob.« Ich zeigte mich verlegen.
»Es kommt nur alles so plötzlich. Das Angebot… na ja, dann von einer Frau und so…«
»Hör doch auf mit dem alten Rollenverständnis. Wir Frauen haben uns emanzipiert, und wenn wir es auf einem bestimmten Gebiet wörtlich nehmen, dann tut ihr immer so überrascht. Es gibt Frauen, die sich holen, was sie wollen. Zu ihnen gehöre ich. Wenn mir ein Mann gefällt, dann sage ich es ihm.«
»Ziehst du das öfter durch?«
»Wie meinst du das?«
»Jeden Tag oder so.«
Sie stieß mir ihre Faust gegen die Brust. »Was denkst du? Bin ich eine Nymphomanin?«
»Keine Ahnung.«
Teresa reckte mir ihr Kinn entgegen. »Wovor hast du Angst, John? Vor mir? Davor, daß ich dich fressen könnte? Daß ich ein kerleverschlingendes Ungeheuer bin?«
»So
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