1085 - Rattenliebe
zu einer großen Gefahr werden, und Jane wußte auch, in welch einer Lage sich ihr Freund befand.
Ihr blieb das Warten.
Und auch das Hoffen darauf, daß Metall und Glas stark genug waren, um den Ratten standzuhalten.
Aufgegeben hatten sie nicht. Auf der Kühlerhaube hockten sie zusammen und kratzten immer wieder gegen die Scheiben. Sie sah die messerähnlichen Zähne. Sie sah Zungen und ein den schmierigen Speichel, der sich außen an der Scheibe festgesetzt hatte.
Doch sie griffen den Golf auch von den Seiten her an. Sie sprangen gegen das Hindernis. Jane hörte es immer wieder, wenn sie ihre Körper gegen das Blech wuchteten, sich aber nicht festhalten konnten, sondern immer wieder abrutschten. Die Feuchtigkeit hatte das Metall glitschig gemacht.
Auf dem Dach waren sie auch. Jane hörte, wie ihre kleinen Füße darüber hinwegtrippelten. Sehr schnell und hastig, als wäre jemand dabei, eine kleine Trommel zu schlagen.
Sie schielte in die Höhe und fluchte leise darüber, daß sie es nicht ändern konnte.
Ein Blick auf die Uhr am Armaturenbrett.
Himmel, es war nicht einmal Mitternacht. Die Nacht oder die nächsten Stunden würden lang werden, verdammt lang sogar. Und irgendwann würden die Nager es dann schaffen und ein Loch in den Wagen fressen. Das glaubte Jane Collins fest…
***
»Ich habe diesen Girogio Toledo geliebt, John, das kannst du mir glauben. Es war eine irre, heiße Liebe. Du kannst dir nicht vorstellen, was wir alles angestellt haben. Er war der beste. Er war wie ein Hengst, der immer konnte. Aber er war sensibel wie jeder Star, das muß ich ebenfalls sagen.«
»Ein Star?« fragte ich.
»Ja, ein großer. Der Star überhaupt. Im Zirkus war er eine Nummer für sich. Das ganze Programm war einzig und allein auf ihn abgestellt, denn Toledo hatte es geschafft, seine Ratten so zu dressieren, daß sie ihm blindlings gehorchten. Er konnte sie sogar mit seinen Blicken bannen oder ihnen Befehle geben. Egal, was er auch tat. Seine Ratten folgten ihm. Sie waren für ihn da und er für sie;«
»Und welche Rolle hast du gespielt?«
»Eine große.«
»Aber nicht so groß wie die der Ratten.«
Um ihre Lippen herum entstand ein harter Zug. »Nein, nicht so groß wie die der Ratten. Das merkte ich erst später. Im Anfang fand ich es toll, denn ich lernte durch ihn auch die Ratten kennen. Wie oft waren wir mit ihnen zusammen. Wie wir beide haben wir nebeneinander gesessen und die Tiere gestreichelt oder liebkost. Sie waren immer bei uns, sogar im Bett schauten sie uns zu.«
»Das stelle ich mir nicht angenehm vor«, sagte ich.
»Man kann sich daran gewöhnen. Ratten sind sauber und sehr kluge Tiere. Das hatte ich gelernt. Ich liebte sie auch, zudem arbeitete ich mit Giorgio zusammen.«
»Warst du seine Assistentin?«
»Ja.«
»Und das ging gut?«
»Mehr als ein Jahr lang. Wir haben viel in dieser Zeit erlebt. Dann aber traf Giorgio die andere Frau. Ich wußte nicht, woher sie kam. Sie war plötzlich da. Sie war jünger als ich und bildschön. Sie hat ihm den Kopf verdreht. Von einem Tag auf den anderen fast gab es nur noch die andere und nicht mich. Ich war wie vor den Kopf geschlagen. Toledo wollte mich auch nicht mehr als Assistentin. Er arbeitete allein. Irgendwann würde er Sandrina, so hieß sie, in seine Show mit einbauen. Ich bettelte, ich flehte, aber ich bekam einen Fußtritt. Er liebte mich nicht mehr, aber er liebte seine Ratten. Zu ihnen schickte er mich.« Mit einem flammenden Blick schaute sie mich an. »Ja, John, es gab Zeiten, da hat er mich zu seinen Ratten in den Käfigwagen gesperrt. Ich lebte und hauste mit ihnen.«
»Und das hast du dir gefallen lassen?«
Ich erwartete wieder einen starken Gefühlsausbruch, aber er blieb aus. Statt dessen erntete ich ein Lächeln. »Ja, ich habe es mir gefallen lassen, obwohl es schlimm gewesen ist. Nicht nur das, es war sogar grauenhaft. Zumindest am Anfang. Später habe ich mich daran gewöhnt, und die Ratten gewöhnten sich an mich. Es gibt den Pferdeflüsterer als Buch und als Film. Das gleiche passierte mit mir.«
»Mit den Ratten?«
»Womit sonst?« Sie schlug die Hände zusammen. »Es gelang mir, mich in ihre Psyche hineinzuversetzen. Ja, auch Ratten haben so etwas wie eine Psyche. Ich entwickelte mich zu einer perfekten Verhaltensforscherin, und es gab keine Ratte, die mir jemals etwas getan hätte. Sie haben mich nicht gebissen, sie haben mich nur liebkost. Ich lebte zwischen ihnen, ich verstand sie, aber ich behielt mein Wissen
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