1089 - Horrorland
hohen Fassaden und auch an den verrosteten Säulen einer verlassenen Tankstelle vorbei. Es schneite noch immer, aber nicht mehr so stark. Wir konnten die Autos sehen, die vor einem grauen Bau parkten und ihre Scheinwerferaugen auf die graue Hauswand gerichtet hatten.
»Da können Sie anhalten«, sagte Babette.
Wir stoppten, stiegen aus, und ich dachte daran, daß wir hier nichts Weihnachtliches sahen. Keinen Tannenbaum, keine Gestecke, auch keine Lichter.
Kalte Schneeflocken trafen unsere Gesichter, als wir den Rover verlassen hatten und Babette vorgehen ließen.
»Was erwartest du von diesem Besuch?« fragte Suko leise.
»Einen Hinweis.«
»Aibon ist nicht so einfach zu betreten, das weißt du.«
»Stimmt. Es kann allerdings auch sein, daß Jerry Caine eine Möglichkeit gefunden hat.«
Babette hielt uns die alte verschrammte Tür auf. »Einen Lift gibt es leider nicht. Wir müssen schon zu Fuß hochgehen.«
Ich winkte ab. »Macht nichts. Etwas Bewegung tut ganz gut.«
»Schön, daß Sie es so sehen.«
Ein kahler, breiter Flur nahm uns auf. Er war schlecht beleuchtet.
Die Kabel hingen über Putz und reichten als dunkle Schlangen hoch bis zu einer Decke, die mir für diese Halle schon sehr niedrig vorkam. Babette hatte meinen Blick bemerkt und gab eine Erklärung ab.
»Die Zwischendecken sind eingebaut worden. Man hat in dieser großen Halle mehrere Etagen geschaffen und auch ein Treppenhaus.« Darauf ging sie zu.
Es war keine normale Treppe. Sie bestand aus Metall, und die Stufen waren angelegt wie Gitter. Irgendwie erinnerte sie mich auch an eine Feuertreppe. Jedes Auftreten war zu hören und verursachte in der kahlen Umgebung ein Echo.
Wir wußten schon, daß wir ganz nach oben mußten, direkt hinein in die vierte Etage, wo uns weiße Wände empfingen, die allerdings nicht so weiß blieben, denn auf dem Weg zur Wohnung sahen wir die ersten Zeichnungen.
Babette deutete mit dem Finger daran entlang. »Es sind Hinterlassenschaften meines Mannes. Er konnte die Kahlheit einfach nicht ertragen, deshalb hat er die Wände bemalt.«
Es waren Landschaftsbilder, deren Pastellfarben nicht zum Aussehen der Motive paßten. Jerry Caine hatte auch hier das gemalt, was er in seinem Leben so geliebt hatte: Landschaften mit hohen, von Winden gepeitschten Bäumen und Büschen, unter einem grauen, wolkenbedeckten Himmel liegend, an dem sich dichte Wolkengebilde tummelten.
Babette stand schon an der Tür. Erst als wir uns umwandten, schloß sie auf uns ließ uns eintreten. Zuerst übertrat Suko die Schwelle. Ich folgte ihm und bekam ebenso große Augen wie er, denn die Frau hatte das Licht eingeschaltet.
Vor uns lag die Welt des Jerry Caine!
Eine Welt, die von großen Bildern bestimmt wurde. Sie alle hingen ohne Rahmen an den hellbraunen Wänden, die sehr viel Platz boten.
Die Motive, die wir im Flur gesehen hatten, kehrten hier zurück, nur von den Farben wesentlich kräftiger und dichter, so daß auch das Bedrohliche dieser Gemälde mehr rüber kam.
Es gab nichts Freundliches. Wir sahen keine Sonne. Keine fröhlichen Menschen. Nur eben die drohende Düsternis, durch die zumeist dicke Nebelschwaden zogen und oft genug bis über die Spitzen der windgepeitschten Bäume hinweg flossen.
Die Motive erinnerten mich an den Maler der Spätromantik, der Caspar David Friedrich geheißen hatte. Auch diese hier waren so groß, aber mehr unheimlich und noch düsterer. Der Betrachter konnte den Eindruck gewinnen, daß die gemalten Wälder und Nebel etwas Schreckliches versteckten, das tief in ihrem Innern lauerte und nicht hervorkommen sollte.
Im hinteren Teil des Raumes, wo sich auch ein großes, bis zum Boden reichendes Fenster befand, hielt sich Babette auf. Dort standen auch einige Möbelstücke. Eine Couch als Zweisitzer, drei Sessel um einen Tisch aus Eisen herum. Farblich paßte nichts zusammen, es sei denn, man achtete auf die weißen und neutralen Regale, die mit Geschirr, Gläsern und Büchern vollgestopft waren.
Eine Glotze und eine Stereoanlage waren auch vorhanden. Wie zwei Türen, die zu anderen Räumen führten.
Babette hatte uns in Ruhe gelassen und die Zeit genutzt. Die Flasche Rotwein war bereits geöffnet, und drei Gläser standen ebenfalls bereit. Als wir auf sie zukamen, schenkte sie ein. Wir hörten zu, wie der Wein in das letzte leere Glas gluckerte.
»Wir sollten auf meinen Mann trinken und darauf, daß er ein großer Künstler gewesen ist«, sagte Babette und reichte uns die Gläser. »Bitte, meine
Weitere Kostenlose Bücher