1089 - Horrorland
wollen.«
»Was denn?«
»Nicht hier«, flüsterte sie mir zu. »Aber hier in der Nähe. Das größte Kunstwerk und auch die größte Tat meines Mannes. Seine eigentliche Hinterlassenschaft.«
»Ein Bild?« fragte ich leise.
Die Antwort bestand zunächst aus einem Lachen. »Ein Bild, sagen Sie? Mr. Sinclair, Sie enttäuschen mich. Ich habe von einer großen Hinterlassenschaft meines Mannes gesprochen, und sie manifestiert sich nicht nur in einem Bild. Daß es Bilder sind, stimmt schon, aber eben nicht ein einziges.«
Ich versuchte, mich auf die Person zu konzentrieren und visierte sie an. Es war so verdammt schwer, denn ich sah Babette nicht mehr als Fixpunkt an, sondern als eine Person, die zwar auf der Couch saß, aber von einer Seite zur anderen schwang. Das lag nicht an ihr, sondern an mir und an dem Wein, den sie uns eingeschenkt hatte.
Damit waren wir reingelegt worden.
Auch das Gesicht nahm eine Veränderung an. Es blieb zwar menschlich, aber es verzerrte und verschob sich immer wieder, so daß ständig neue Gebilde entstanden. Mal sah es flach aus, dann sprang der Mund hervor wie eine kräftige Schnauze. Die Augen bekamen verschiedene Größen, wobei sich die Stirn zusammenzog wie die Falten einer Ziehharmonika.
Eine Hand streckte sich mir entgegen. Babettes Hand. Ich sah sie und nahm auch die gespreizten Finger war, aber sie und die Hand waren um das Doppelte vergrößert.
»Kommen Sie, John, ich helfe Ihnen hoch. Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen…«
Ich wollte von allein aufstehen. Etwas wehrte sich in mir. Keine Hilfe annehmen, nicht von dieser Frau, nein, nicht von dieser verdammten Person.
In meiner unmittelbaren Nähe vernahm ich keuchende Geräusche.
Jemand stand neben mir und atmete heftig. Es war nicht Suko, es war auch nicht Babette. Einzig und allein ich war es, aus dessen Mund die heftigen Atemzüge drangen.
Wenn sich je ein Mensch schwer wie ein Stück Fels gefühlt hat, dann war ich das. Ich hockte auf meinem Sessel, der zu einem Teil meiner selbst geworden zu sein schien. Es war mir fast unmöglich, mich zu bewegen, und mein Sichtfeld wurde plötzlich von einer sich ständig verändernden Figur eingenommen, die auch eine Ähnlichkeit mit Babette Caine aufwies.
Sie faßte mich an. Was Suko tat, blieb mir verborgen, weil Babette noch immer vor mir stand. Sie hatte ihre Hände auf meine Schultern gelegt und sich mit den Fingern festgekrallt. In diesem Augenblick war ich übersensibel geworden, denn ich spürte den Druck jedes Fingers einzeln auf meiner Haut.
»Na, steh schon auf, John…«
Sie sprach zu mir wie zu einem kleinen Kind und hatte auch Erfolg damit.
Der verdammte Wein, dachte ich, der verfluchte Wein! Ich kam mühsam in die Höhe. Der Sessel schien mich wie mit zahlreichen Hosenträgern bestückt festzuhalten. Es war so unwahrscheinlich mühsam, den Weg in die Höhe und auf die Füße zu finden.
Schließlich stand ich doch.
Und blieb stehen, denn Babette stützte mich an der linken Schulter ab. Ich konnte jetzt ihr Gesicht sehen. Die Deformationen hatten sich zurückgezogen, jetzt sah sie aus wie immer, und mir ging es ebenfalls etwas besser.
Zwar war ich in der Lage, normal zu denken, aber ich konnte diese Gedanken nicht in die Tat umsetzen. Ich nahm mir etwas vor. Es war wichtig, dieses Atelier zu verlassen, das wußte ich genau, nur war ich nicht in der Lage, dieses Vorhaben in die Tat umzusetzen.
Ich blieb auf der Stelle stehen und drehte mit einer sehr bedächtigen Bewegung den Kopf nach rechts, denn dort hatte mein Freund Suko seinen Platz.
Er saß nicht mehr und stand auf seinen eigenen Beinen. Festgehalten wurde er nicht. Seine Gestalt schwankte leicht, oder war ich es, der sich so bewegt?
Babette trat zurück. Sie spielte eine Königin, die über ihr Volk regierte. »Kommt, meine Freunde, kommt mit. Ich wollte euch doch das größte Kunstwerk meines Mannes zeigen…« Sie lachte und ging um den Tisch herum und stellte sich zwischen Suko und mich.
Dort spreizte sie die Arme von ihrem Körper. Mit der rechten Hand faßte sie nach Sukos Fingern, mit der linken nach meinen. Beide spürten wir den Ruck, als sie sich in Bewegung setzte. Mit langsamen Schritten und uns wie zwei Kinder an den Händen führend, bewegte sie sich mit uns auf einen uns unbekannten Teil des großen Ateliers zu, den das Licht nicht so direkt erreichte und der deshalb von einem grauen langen Schatten eingepackt wurde.
Sie hielt uns wirklich wie zwei Kinder fest, aber so
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