1089 - Horrorland
wußte zunächst nicht, was sie darauf sagen sollte. Sie war nicht nur meine Sekretärin, Glenda gehörte gewissermaßen zur Familie und war oft genug eingeweiht worden. Deshalb hielt sich ihre Überraschung auch in Grenzen, zumindest meistens.
Mit dieser Tatsache allerdings kam sie nicht zurecht und schüttelte den Kopf. »Aus Aibon?« hauchte sie.
»Ja…«
Sie blies die Luft aus. »Dann muß dieser tote Weihnachtsmann auch eine Verbindung zu Aibon gehabt haben.«
»Das denke ich auch.«
Sie verzog während der nächsten Frage die Lippen und krauste die Nase. »Ist er dort gewesen?«
»Wie und wenn und ob überhaupt, das müssen wir noch herausfinden. Jedenfalls hat er Geschichten aus einem Horrorland erzählt. Er hat auch die Vögel beschrieben. Er sprach von Menschen, von einer Frau und einem Mann, die von den Vögel gejagt und angegriffen wurden, und das alles in einer anderen Welt. Zudem muß du dir das Blut anschauen, Glenda. Das ist nicht normal, darauf gehe ich jede Wette ein. Es ist nicht rot, sondern besitzt die typische Aibonfarbe, wenn ich das mal so hingestellt sein lassen will.«
»Das glaube ich dir alles, John. Aber es beantwortet nicht die Frage, wie es möglich war, daß dieser Klumpen in den Körper des Weihnachtsmanns gelangte und es schaffte, so schnell zu wachsen, als er aus der Wunde herausgetreten war.«
»Du hast recht.«
»Hast du auch die Antwort?«
»Nein.«
Sie lachte glucksend. »Das habe ich mir gedacht. Ich frage mich nur, wo du sie suchen willst.«
Mit dem Daumen deutete ich auf den Toten.
»Bei ihm?«
»Wo sonst, Glenda? Dieser Mann ist zwar tot, aber auch Tote haben eine Vergangenheit. Ich werde sein Vorleben durchforschen. Das ist die einzige Spur.«
Glenda schaute auf das starre Gesicht der Leiche und schauderte dabei zusammen. »Glaubst du, daß er Aibon kennt?«
»Kann sein.«
»Dann wäre er einer der wenigen Menschen, denen es gelungen ist, das Land zu betreten.« Sie runzelte die Stirn. »Ich sage dir was, John. Dieser Mann ist…«
Eine schrill klingende Frauenstimme unterbrach Glenda. Wir hörten sie von der Tür her. Zwei von Tanners Mitarbeitern wollten sie festhalten, aber die Person hatte bereits den Ring der Neugierigen durchbrochen und ließ sich auch jetzt nicht stoppen.
Sie riß sich los und schrie: »Verdammt noch mal, der Tote ist mein Mann!«
***
Plötzlich war es still geworden. Tanners Leute traten auf einen Wink ihres Chefs zurück und überließen uns das Feld. Ebenso wie der Frau, die stehengeblieben war und sich schüttelte, als wollte sie irgend etwas von ihrer Kleidung vertreiben.
Sie trug einen braunen Mantel aus unechtem Pelz. In den Haaren hingen noch einige Wassertropfen. Es konnte sein, daß es draußen schneite oder regnete. Auch das dunkelbraune Haar war feucht geworden. Es klebte strähnig auf ihrem Kopf und machte das Gesicht schmal. Dunkle Augenbrauen, hohe Wangenknochen, dünne Haut und ein breiter Julia-Roberts-Mund. Die Hände hatte sie in die Manteltaschen gesteckt. Die hellen Boots zur schwarzen Hose wirkten befremdend. Als sie vorging, war kaum ein Laut zu hören.
Tanner und ich hatten die gleiche Idee. Von zwei verschiedenen Seiten traten wir ihr in den Weg.
Sie blieb stehen und sah uns an. In ihren Augen loderte ein kaltes Feuer. »Lassen Sie mich vorbei!«
»Nein,« sagte Tanner. »Zuerst sagen Sie uns, wer Sie sind.«
»Haben Sie nicht gehört? Ich bin die Frau des Toten!«
»Wie heißen Sie?«
»Babette Caine!«
Tanner schaute mich an. Ich nickte, und wir gingen wieder auseinander. Die Frau schritt auf den Toten zu, ohne uns einen Blick zu gönnen. Tanner und ich blieben recht dicht hinter ihr. Wir wunderten uns über ihr Verhalten. Sie ging auf den Toten zu. Sie brach nicht in Tränen aus, und sie zitterte auch nicht. Sie nahm es fast mit wissenschaftlichem Interesse hin, als sich ihr Blick an der Leiche festfraß, neben der sie stehenblieb.
»Darf ich sie berühren?« fragte sie.
»Bitte«, sagte Tanner.
Babette Caine wußte genau, was sie tat. Sie schaute ihren Mann nicht von vorn an, sondern beugte sich zu ihm hin und drückte ihn gleichzeitig zur Seite, so daß sie einen Blick auf seinen Rücken werfen konnte. Wir sahen wie sie nickte, sich noch tiefer bückte, hinsah und sich dann wieder erhob.
»Und?« fragte ich.
»Ja«, sagte sie nur und ging von der Leiche weg.
Ich trat zu ihr. »Mehr sagen Sie nicht?«
»Er ist tot.«
»Das stimmt.«
»Da kann man nichts mehr ändern.«
Ich räusperte
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