109 - Via Diavolo - Straße des Bösen
Vielleicht tat sie es, um mich von meinen Schmerzen abzulenken. Ich hörte ihr interessiert zu.
Es wurde Abend. Es wurde Nacht. Alva Morena war immer noch bei mir. Orson Vaccaro lehnte an der Wand und starrte stumm vor sich hin. Carmine Rovere spielte geistesabwesend mit einem Strohhalm. Renata Gallone weinte lautlos, und Giuliano Rovere hatte seine Arme um sie geschlungen und wußte nicht, wie er sie trösten sollte.
Gab es noch einen Trost, der keine Lüge war?
Ich dachte an Mr. Silver. Man hatte ihn in Eisen gelegt. Wenn die Ketten nicht magisch gesichert waren, konnte er sie sprengen.
Würde er in Kürze hier erscheinen und uns rausholen?
Als die Tür geöffnet wurde, dachte ich, er wäre es schon, doch ich irrte mich. Vier Gladiatoren traten ein. Zwei von ihnen trugen blakende Fackeln.
Die beiden anderen kamen auf mich zu. Ich war beunruhigt. Ließ man mir nicht mehr Zeit bis morgen? War Clessius etwas anderes eingefallen?
Plötzlich begriff ich. Der Auftritt der Gladiatoren galt nicht mir, sondern Alva. Sie schien es gleich gewußt zu haben. Traurig sah sie mich an.
»Lebwohl, Tony«, sagte sie heiser. »Sie holen mich zu Clessius.«
Trotzig hob sie den Kopf. »Ich bin bereit«, sagte sie, und sie führten sie ab.
Ich werde nie den unglücklichen Ausdruck in ihren Augen vergessen, mit dem sie sich von mir verabschiedete. Er schnitt mir wie ein Messer ins Herz.
***
Sie brachten sie in einen großen Raum. Clessius lag in spärlicher Gladiatorenkleidung auf einem großen Lager. Er richtete sich halb auf und musterte das Mädchen mit unverhohlener Gier.
»Zieht sie aus!« verlangte er von den Männern.
Sie taten es nicht behutsam, sondern rissen Alva Morena einfach alles vom Leib, was sie anhatte.
Nackt stand sie vor dem Dämon. Sie bedeckte ihre Blößen nicht, stand mit trotzig vorgeschobenem Kinn da und machte einen furchtlosen Eindruck.
Aber der Schein trog. Sie hatte natürlich Angst, und Clessius wußte es, denn ihn konnte sie nicht täuschen. Er schickte die Männer hinaus und befahl Alva näherzukommen.
Sie setzte sich langsam in Bewegung, und plötzlich kam ihr ein wagemutiger Gedanke. In ihrem ganzen Leben hatte sie noch nie selbstlos gehandelt.
Immer mußte sie davon einen Nutzen haben, doch heute dachte sie zum erstenmal anders. Sie war entschlossen, sich zu opfern. Vielleicht blieb sie am Leben. Wenn nicht, dann hatte sie wenigstens einmal eine gute Tat getan.
Es war gefährlich, was sie vorhatte. Es war irrsinnig. Dennoch wollte sie es versuchen: Sie hatte die Absicht, Clessius zu töten. Nicht mit bloßen Händen natürlich, sondern mit dem Dolch, der in seinem breiten Gürtel steckte.
Alva näherte sich ihm mit wachsender Erregung. Sie versuchte ihre Reize so gekonnt wie möglich zur Geltung zu bringen. Ihre Schönheit sollte Clessius fesseln und unvorsichtig machen.
Im Grunde genommen ist auch er nur ein Mann, sagte sich das Mädchen, und mit Männern wußte sie umzugehen.
Sie glitt zu Clessius aufs Lager und begann mit dem Spiel, das sie wie kaum eine andere beherrschte. Clessius genoß es. Er grinste zufrieden.
»Du gibst dir wirklich Mühe«, sagte er.
»Hast du das von mir nicht erwartet?« erwiderte Alva.
»Du tust es, um deine Haut zu retten.«
»Ich tue es vor allem deshalb, weil ich dich aufregend finde«, sagte Alva und machte mit kundigen Händen weiter.
Clessius legte sich auf den Rücken, schloß die Augen und ließ sie gewähren, »Ist es so gut?« fragte Alva leise.
»Ja«, antwortete er. »Sehr gut. Mach weiter.«
Sie zog ihm mit zitternden Fingern den Dolch aus dem Gürtel und hoffte, daß er es nicht merkte. Hastig versteckte sie die Waffe unter einem Kissen und widmete sich dann sofort wieder ganz ihrer Tätigkeit. Mit Erfahrenheit und Raffinesse gab sie Clessius das, was er haben wollte.
Als er sich auf sie legte, tastete ihre Hand nach dem Dolch. Er schöpfte nicht den geringsten Verdacht. Alva wollte nicht länger warten, sondern die Sache zu einem Ende bringen.
Ihr Herz klopfte wie verrückt gegen die Rippen, während sich ihre Finger um den Dolchgriff schlossen. Sie haßte Clessius. Sie verabscheute ihn, Noch nie hatte ein Mann sie so sehr angewidert, obwohl sie niemals besonders wählerisch gewesen war.
Er ergriff von ihrem Körper Besitz, und sie hatte es noch nie so erniedrigend empfunden.
Töte ihn! schrie es in ihr. Worauf wartest du? Stoß zu!
Und sie tat es!
Blitzschnell und mit der ganzen Kraft, die ihr zur Verfügung stand, stach
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