1091 - Das Geschöpf
ein Monster.«
Als er sah, daß Gloria zu einer Widerrede ansetzen wollte, hob er seine Stimme. »Und das stammt nicht von mir, meine Liebe. Das hat mir dein Sohn selbst erzählt, als ich mit ihm allein gewesen bin. Ja, von ihm weiß ich es. Er hat von dem Monster gesprochen, von dem Geschöpf, und du weißt es auch, Gloria.«
»Er spinnt.«
»Laß ihn untersuchen.«
Sie blieb starr auf dem Stuhl sitzen und nagte an der Unterlippe. »Wir werden sehen, Phil.«
»Hoffentlich bald, meine liebe Gloria. Sonst muß ich leider offiziell werden.«
»Willst du mich entlassen?«
»Davon habe ich nichts gesagt. Ich möchte in diesem Haus nur Ruhe haben, das ist alles.«
Gloria Esteban wischte ihre schweißnassen Hände am Kittel ab. »Ist das alles, was du mir sagen wolltest?«
»Reicht es nicht?«
»Ach ja.« Sie stand mit einem Ruck auf. »Ich habe jetzt Feierabend.«
»Wie schön, dann kannst du ja mit deinem Sohn reden.«
Sie warf dem Heimleiter noch einen giftigen Blick zu, machte dann auf dem Absatz kehrt und verließ grußlos das Büro.
***
Das Haus war groß, das Haus war kalt, das Haus war wie ein großer Schlund, der alles schluckte. Es gab Gänge, Etagen, Türen, Zimmer, die zum großen Teil leerstanden. Früher, und dieses Früher lag schon Jahrzehnte zurück, da war Sailor's Home eine Anlauf stelle für Seeleute aus aller Welt gewesen. Doch die Zeit war nicht stehengeblieben. Viele Seefahrer hielt es nicht mehr lange an Land.
Auch die Schiffe lagen nicht so lange fest, und oft bleiben die Seeleute an Bord.
Nur für den, der wenig oder keine Arbeit hatte, war das Heim ein gutes Zuhause.
35 Männer hatte die Köchin zu versorgen, die ebenfalls mit ihrem Sohn in diesem Haus wohnte. Sie bewohnten zwei Zimmer und ein kleines Bad. Die Seeleute mußten sich mit den Gemeinschaftsduschen zufriedengeben, was ihnen auch nichts ausmachte. Ebensowenig, daß sie zu vier Personen oft in einem Zimmer schliefen. Es standen zwar genügend Räume zur Verfügung, so daß jeder ein eigenes Zimmer benutzen konnte, aber das wäre zu teuer gekommen. Wenn niemand in einem Raum wohnte, brauchte auch nicht geheizt zu werden. Ein Klotz wie dieser fraß viel Wärme und wurde selbst nicht richtig warm.
Obwohl die vierzigjährige Frau hier arbeitete, mochte sie das Haus nicht. Daß Gloria die Stelle als Köchin angenommen hatte, war eher aus einer Verlegenheit heraus entstanden. Ihr Mann war auf See geblieben. Ein Orkan hatte ihn über Bord gespült, und damals war sie froh gewesen, überhaupt einen Job und eine Unterkunft für ihren Sohn bekommen zu haben. Aus der Übergangszeit waren inzwischen mehr als vier Jahre geworden, aber so richtig an das Haus gewöhnt hatte sie sich nicht.
Es kam ihr noch immer so kalt und abweisend vor. Es gab nur wenige Bilder an den nackten Wänden, keine Gemütlichkeit. Die wenigen Bilder zeigten stolze Schiffe aus der Vergangenheit. Da war die Eastindian Company noch groß im Geschäft gewesen und hatte ihre prächtigen Segelschiffe quer über alle Weltmeere geschickt.
Sie und ihr Sohn Manuel wohnten dort, wo die Zimmer leerstanden. Man hatte den Gang zu diesem Teil des Heims durch eine Tür abgetrennt, zu der nur sie und der Heimleiter einen Schlüssel besaßen.
Sehr schnell war sie dorthin geeilt. Treppen hatte sie nicht zu steigen brauchen, denn ihre Wohnung lag parterre. Die Tür war immer abgeschlossen. Wenn sie das Haus oder die Wohnung verlassen wollte, dann konnte sie auch einen Seitenausgang nehmen und brauchte nicht erst großartig den Gang entlangzulaufen.
Sie schloß die Tür auf und an der anderen Seite wieder zu. Tief atmete sie aus, ohne sich jedoch beruhigen zu können. In ihr fraß die Sorge um ihren Sohn. Sie war unsichtbar, aber sie nagte wie die spitzen Zähne einer Ratte.
Gloria Esteban wußte selbst, daß mit Manuel etwas nicht stimmte. Was es genau war, darüber hatte sie sich schon öfter den Kopf zerbrochen, aber sie war zu keinem Resultat gekommen. Er war ein dreizehnjähriger Junge. Vielleicht etwas klein für sein Alter. Auch leicht verschlossen. Introvertiert, hatte es mal einer seiner Lehrer bezeichnet. Der Kontakt mit den Klassenkameraden hielt sich in Grenzen. Das alles wäre für die Mutter auch nicht besorgniserregend gewesen, wenn da nicht dieses andere gewesen wäre. Sie kam damit nicht zurecht. Sie wußte nicht, woher es kam. Die Nächte waren oft schlimm. Da lag Manuel wie tot in seinem Bett. Eiskalt, und am Morgen berichtete er von seinen Träumen und
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