1094 - Der Mann aus Haiti
nicht mehr."
„Das hätte man mir mitgeteilt, Salo."
„Vielleicht hat man es einfach vergessen, Bella. Bitte, versprich mir, daß du dich nach ihm erkundigst. Dann weißt du wenigstens, woran du bist."
„Na, ja! Übermorgen muß ich sowieso mit Eric in die Spezialklinik nach Terrania. Da kann ich ja mal beim Hauptquartier der Hanse vorbeischauen und nach Hirt fragen."
„Das wird bei dieser gigantischen Organisation nicht so einfach sein", meinte Salomon.
„Die lassen bestimmt nicht jeden ins HQ. Warte mal! Eine Großtante von mir arbeitet dort in der Aussonderungsstelle für Wartungsroboter oder so. Die kann uns bestimmt helfen.
Ich setze mich mit ihr in Verbindung und melde mich wieder bei dir. Wenn es klappt, nehme ich einen Tag frei und begleite dich, ja?"
„Einverstanden, Salo. Danke!"
„Das ist doch selbstverständlich. Und du willst wirklich nicht mitkommen? Nur für eine Stunde?"
Eartha schüttelte den Kopf.
„Es geht nicht, Salo. Dennoch vielen Dank für die Einladung. Einen schönen Abend noch!"
„Danke, gleichfalls", erwiderte Salomon enttäuscht.
*
„Tja, Eartha!" sagte der Spezialist in der Klinik für Psycho-Somatologie in Terrania. „Der kleine Eric weist einerseits viele Anzeichen einer Somatisierung auf, das heißt, eines Ausweichens psychischer Syndrome in körperliche Symptome, andererseits können wir auf seinem psychophysischen Niveau keine Fehlfunktionen entdecken."
Eartha strich dem Jungen, der auf ihrem Arm schlief, übers Haar.
„Was bedeutet das, Doktor?"
„Das bedeutet, daß er alle Voraussetzungen für eine perfekte psychische und physische Gesundheit besitzt. Da er aber ständig kränkelt und die Ursachen dafür nicht in organtypischen Fehlfunktionen liegen, muß der Fehler irgendwo in seinem Ich als der erlebnismäßigen Verschmelzung von Leib und Seele liegen, dort also, wo wir ihn nicht erkennen können - jedenfalls nicht bei einer einzigen Untersuchung im Monat."
„Ich verstehe immer noch nicht", sagte Eartha hilflos.
„Das ist auch schwer zu verstehen", räumte der Spezialist ein. „Ich schlage vor, du läßt das Kind zur Beobachtung hier. Wenn wir jede seiner Reaktionen verfolgen und eine lückenlose Testreihe über einige Monate durchziehen, sollten wir den Fehler erkennen.
Dann erst kann eine erfolgversprechende Behandlung einsetzen."
„Monate?" erwiderte Eartha entsetzt. „Eric braucht mich Tag und Nacht. Er ginge zugrunde, wenn ich ihn allein ließe. Ich bin das einzige auf dieser Welt, mit dem er etwas anfangen kann. Alles andere ist ihm unbegreiflich fremd."
„Das wäre ein Anhaltspunkt, an dem sich eine Testreihe orientieren könnte. Meines Wissens hat es einen solchen Extremfall noch nie gegeben, aber mit unseren modernen Forschungsmethoden sollten wir schon hinter das Geheimnis seines Defekts kommen."
„Nein, nein! Eric würde sterben, bevor ihr nur einen Teil eurer Forschungsmethoden an ihm ausprobiert hättet! Ich nehme ihn wieder mit nach Hause."
„Wenn sich sein Zustand nicht bessert, müssen wir das Schlimmste befürchten, Eartha!
Er hat allein in diesem Jahr drei Lungenentzündungen gehabt, und bei der letzten versagten sogar die teuersten Kosmobiotika. Es war ein Wunder, daß er sie trotzdem überstand."
Es war kein Wunder! dachte Eartha. Ich war ständig bei ihm, habe ihm Märchen erzählt, seine Wadenwickel erneuert, ihm Tee eingeflößt, seine Stirn gekühlt und gebetet. Das hat ihn gerettet. Aber das alles ist für euch natürlich unwissenschaftlich, denn für euch setzt sich der Mensch aus mathematischen Symbolen und Recheneinheiten zusammen.
„Auf Wiedersehen!" sagte sie.
„Auf Wiedersehen!" sagte der Spezialist ernst. „Vergiß den nächsten Termin nicht, Eartha!"
*
„Nun, wie war's?" fragte Salomon, als sie aus der Untersuchungszone der Klinik kam.
„Wie immer", gab Eartha zurück. „Eric ist eigentlich kerngesund. Dennoch befürchtet man das Schlimmste. Irgendwo in der Verschmelzung von Leib und Seele soll der Fehler liegen."
„Im Gehirn?"
„Das Gehirn ist doch nur ein Organ, Salo, ein Organ der Zusammenfassung und Koordinierung von Nervenfunktionen. Die Psychologen denken immer, daß dort das Bewußtsein entsteht. In Wirklichkeit ist das Bewußtsein - oder die Seele - die Widerspiegelung von Gottes Geist."
„Das glaubst du?"
„Das glaube ich, weil ich glaube."
„Nun, ja", meinte Salomon unbehaglich. „Du bist eben religiös, und ich bin Materialist."
„Das eine schließt
Weitere Kostenlose Bücher