1097 - Der Tod aus dem Tunnel
dazwischen waren so breit, daß sie von Gabelstaplern passiert werden konnten.
In der Halle war es verflucht kalt. Da halfen auch die elektrischen Heizungen kaum. Die hier arbeitenden Menschen trugen Pullover, Kittel und Fellmützen.
Ein älterer Mann schlurfte herbei, als wir vor der Materialentnahme stehenblieben.
Karina Grischin war sehr freundlich, und der Alte lächelte jetzt auch. Sie reichte ihm eine Liste, auf der alles stand.
Der Mann bedachte sie mit einem kurzen Blick, nickte dann, drehte sich um und kehrte nach ungefähr zwei Minuten mit den Sachen zurück. Er hatte sie in einen Korb gelegt, den er auf die Theke stellte. »Hier ist das, was Sie brauchen.«
Karina und ich schauten uns die Dinge an. Zwei Masken, zwei kleine Flaschen mit Sauerstoff, Moskitonetze, Handschuhe, eine entsprechende Fußbekleidung, zwei Jacken aus sehr dickem Stoff und natürlich auch die Helme.
»Das ist ja gut«, sagte Karina.
»Ihr wollt in die alten Stollen?«
»Ja, woher wissen Sie das?«
»Weil ich das Zeug hier nur den Leuten gebe, die dorthin gehen und arbeiten müssen.« Der Alte legte seine krumme Hand auf den Korb. »Ihr seht nicht so aus, als würdet ihr dort arbeiten.«
»Nein…?«
»Es ist in der letzten Zeit lange keiner mehr gekommen, um sich etwas abzuholen.«
»Das passiert schon mal. Dafür sind wir jetzt da.«
Die Augen des Mannes waren seltsam klar. Er machte keinen verkalkten Eindruck, als er den Kopf schüttelte und sagte: »Wenn so etwas passiert, dann ist auch was passiert.«
»Ja?« flüsterte Karina. »Wissen Sie mehr?«
»Nein, ich weiß nichts. Ich weiß aber, daß Sie eine schöne junge Frau sind. Ähnlich wie meine Tochter, die in Berlin verschwunden ist. Jemand wie Sie sollte sich nicht in Gefahr begeben.«
»Aber die Stollen oder Tunnel müssen kontrolliert werden.«
»Richtig. Wurden sie auch. Aber man sollte nicht die Gefahren übersehen, die sie bergen.«
»Sagen Sie nur. Denken Sie daran, daß sie einstürzen können?«
»Auch das.«
»Und weiter?«
Der alte Mann lächelte etwas verloren. Er wurde auch mir immer sympathischer, obwohl ich kaum Bruchstücke von dem verstand, was gesprochen wurde. Es war einfach die Art, die so auf mich wirkte. Nicht künstlich, sondern menschlich.
»Nein, das nicht. Es ist schon gut. Nehmen Sie bitte Ihre Ausrüstung und gehen Sie.«
Manchmal konnte Karina stur sein. Das bewies sie auch jetzt, denn sie schüttelte den Kopf. »Sie haben mich neugierig gemacht. Was ist mit den alten Stollen los?«
»Sie sind vergessen.«
»Bei Ihnen offenbar nicht.«
»Ich bin alt und senil. Niemand wird auf mich hören, muß er auch nicht.«
»Dann bin ich hier die berühmte Ausnahme.« Karina lächelte ihn so nett an, daß er einfach dahinschmelzen mußte. Noch wand und drehte er sich, und wollte nicht so recht mit der Sprache heraus, aber sie ließ nicht locker. »Bitte…«
»Gut, aber lachen Sie mich nicht aus.«
»Das wird auf keinen Fall passieren.«
»Ich war beim Bau der U-Bahn nicht dabei, aber ich habe lange dort als Streckenwächter gearbeitet. Ich kenne die Tunnel, ich kenne die Gleise zum größten Teil. Es gibt ja 96 Bahnhöfe und 160 Kilometer Schienennetz. Das kann niemand alles kennen. Aber ich habe mich an vielen Orten herumgetrieben.«
»Auch in den alten Schächten?« fragte Karina.
»Ja.«
»Und was haben Sie dort gesehen?«
»Nichts, nur Finsternis. Aber darauf sollte man sich nicht verlassen. Ich war immer der Meinung, daß man sensibel mit der Dunkelheit umgehen muß. Manchmal hält sie etwas versteckt, das keinesfalls das Licht des Tages sehen soll.«
»Was könnte das sein?«
Der alte Mann zuckte mit den Schultern. »Man weiß nichts Genaues. Niemand hat etwas gesehen. Es gibt Gerüchte, das ist alles.« Er hob die Schultern. »Jedenfalls sollte man sich vorsehen.«
»Gerüchte enthalten immer einen Kern Wahrheit«, sagte Karina. »Auf diesen Kern sollten Sie zurückkommen, Towaritsch.«
»Sie lachen mich aus.«
»Nein, das werde ich nicht tun.«
Er senkte den Kopf. »Schon immer hat man davon gesprochen, daß sich in einem der Tunnel etwas versteckt hält. Tief in der Schwärze verborgen, als hätte es sich in das Gestein gedrückt.«
»Wer oder was ist das?«
»Keiner kann das so genau sagen. Die es können, sind längst tot.«
»Und was erzählt man sich so?«
»Es geht um ein Monster, das vor langer Zeit dort bewußt verschüttet worden ist. Aber es hat nichts vergessen. Die Menschen wußten nicht, daß man
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