1097 - Der Tod aus dem Tunnel
es so nicht töten kann. Sie haben sich einfach darauf verlassen und sind reingefallen.«
»Aha, dann glauben Sie also, daß dieses Monster noch immer in einem der Stollen existiert?«
»Ich weiß nicht, was ich glauben soll. Ich habe es nie gesehen. Ich gebe nur weiter, was ich gehört habe.«
Karina zwinkerte ihm zu. »Aber Sie haben früher dort gearbeitet.«
»Lange Jahre.«
»Und nichts gesehen?«
»Nein.«
»Auch nichts gehört?«
»So ist es.«
»Trotzdem glauben Sie daran?«
Der Blick des alten Mannes wurde jetzt ernst. »Ja, denn es gibt Menschen, die brauchen weder zu hören noch zu sehen, um etwas herauszufinden. Die fühlen es einfach. Sie merken dann, daß sich etwas in ihrer Nähe aufhält. Es streift sie. Es ist da, obwohl man es weder sieht noch fühlt.«
»Und Sie sind so sensibel gewesen?«
»Das bin ich noch immer.« Er schaute uns jetzt an, seufzte, flüsterte Karina etwas zu. Dann streichelte er ihre Wange, drehte sich um und schlurfte davon.
Ich hatte mittlerweile kalte Füße bekommen und war froh, daß sich dieses Gespräch erledigt hatte. Als ich in Karinas ernstes Gesicht schaute, verging mir die Freude.
Ich wollte wissen, was der alte Mann ihr gesagt hatte. Während ich die Ausrüstungsgegenstände in einen bereitliegenden Sack stopfte, berichtete sie mir von der Unterhaltung. Mitten in der Arbeit hörte ich auf und scnaute sie an.
»Ist das die Lösung?«
»Meinst du?«
»Ja, verflucht. Dag kann sie sein.«
»Das Märchen von einem Monster im Stollen. Ein Alibi für die Vampir-Mücken.«
»Was willst du jetzt hören?«
»Nichts, John, gar nichts.« Der Atem dampfte vor ihren Lippen, und sie trat auf der Stelle. »Wir sollten so schnell wie möglich losfahren und uns die Moskauer Unterwelt anschauen.«
»Gern. Außerdem ist es da bestimmt wärmer.«
»Klar. Warm und feucht. Das richtige Klima für die Vampir-Mücken. Das meintest du doch - oder…?«
Ich winkte nur ab…
***
Es ist schon ein Erlebnis, durch die Unterwelt Moskaus mit der U-Bahn zu fahren. Allein die gekachelten Bahnhöfe sind jede Besichtigung wert.
Alter Jugendstil, noch erhalten, sehr gepflegt, denn das war auch zu Zeiten der alten UdSSR so gewesen, denn mit diesem Verkehrsmittel hatte man wirklich glänzen können, ebenso wie mit dem gewaltigen Kaufhaus GUM. Nach außen hin hatte sich nichts verändert, auch jetzt waren die Stationen noch recht sauber, aber die Menschen sahen anders aus. Westlicher gekleidet, was nicht immer von Vorteil war, denn manche Typen dachten, daß sie sich auch »westlich« benehmen müßten. Vor allen Dingen Jugendliche und junge Erwachsene. Demenstprechend laut ging es oft zu, und selbst Bettler wurden nicht verschont und kassierten so manchen Tritt.
»Das ist die an der Seite der Öffnung nach Westen hin«, sagte Karina.
Sie sah aus wie jemand, der sich schämte.
»Ich kenne das aus dem Westen.«
»Wenn die Russen nicht achtgeben, werden sie kippen. Zu viele denken nur an sich und nicht an die Solidargemeinschaft. Das kann sich rächen, denn die Schere wird immer größer.«
»Wie überall auf der Welt.«
»Da gebe ich dir recht, John, nur sind wir es bei uns nicht gewöhnt. Verstehst du mich?«
»Klar.«
»Ich war ja einige Zeit in London und habe auch mit dem Gedanken gespielt, für immer dort zu bleiben. Einen Job hätte ich bestimmt bekommen, aber dann war es das Heimweh, das mich wieder zurückzog.«
»Nur das Heimweh?« fragte ich.
Sie lächelte. »Nein, nicht nur. Ich habe gedacht, daß ich hier eine Aufgabe habe. Ich muß in diesem Land bleiben. Ich muß dafür kämpfen, und ich habe in Wladimir Golenkow nicht nur einen Vorgesetzten gefunden. Er ist auch ein Freund.«
»Richtig. Freunde sind wichtig.«
»Du weißt das besonders gut, John.«
Dieses Rußland war ein Riesenland und befand sich im Umbruch. Es gab einfach zu viel Armut, zu viele Spannungen, aber ich war sicher, daß es irgendwann einmal eine Wende geben würde. Dabei halfen dann auch Menschen wie Karina Grischin oder Wladimir Golenkow mit.
Ansonsten war das Fahren mit der U-Bahn wie in allen anderen Städten auch. Rein in die Tunnels, raus aus ihnen, dann in die Stationen rein, zu den kurzen Stopps. Menschen drängten sich auf die Bahnsteige, andere schoben sich in die Wagen. Türen schlossen sich zischend. Die Wagen rumpelten. Wer keinen Sitzplatz gefunden hatte, stand.
Bei mir in London lesen die Fahrgäste oft Zeitungen. Das sah ich hier weniger. Die Fahrgäste hier wirkten
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