1098 - Das brennende Gesicht
vormachen konnte. Der würde auch nicht aufgeben und sicherlich bald auftauchen. Wenn er sich nicht abwimmeln ließ, mußten Ole und Jan eben auf die harte Tour reagieren.
Die Treppe war eng. Der Junge hatte auch das Licht nicht eingeschaltet. So stieg er der Düsternis der ersten Etage entgegen. Wie in vielen alten Friesenhäusern war es auch hier recht eng. Die Treppe hatte hohe Stufen, und die Fenster waren nur klein.
In der ersten Etage ging Jan durch den schmalen Flur. Sein Gesichtsausdruck war ebenso angespannt wie sein Körper, doch er hatte kein schlechtes Gewissen, was eigentlich normal gewesen wäre. Nicht hier, nicht vor dieser großen Aufgabe. Für ihn gab es nicht primär seine Eltern, sondern das Gesicht.
Vor der Zimmertür blieb er für einen Moment stehen, um zu lauschen. Er hörte nichts. Die Stille wäre ihm normalerweise verdächtig vorgekommen, nun wirkte sie auf ihn beruhigend. Aus eigenen Kräften befreien konnten sich seine Eltern nicht. Und sie hatten es auch nicht geschafft, die Knebel von den Lippen zu stoßen. Dann nämlich hätte er sie bestimmt reden hören.
Er öffnete die Tür und trat ein.
Da Jan die Vorhänge vor die beiden kleinen Fenster gezogen hatte, war es dämmrig im Raum. Das Licht brauchte er trotzdem nicht einzuschalten.
Die Einrichtung war der Größe des Raumes angepaßt worden.
Keine wuchtigen Möbel. Was dort stand, wirkte recht zierlich, und es war auch noch zwischen den Seiten der Betten und den Wänden genügend Platz. Dort lagen Heike und Peter Michels.
Die Frau an der Seite, an der sie immer schlief, und der Mann an seiner.
Jan sah zuerst nach seiner Mutter. Ihr Kopf und ein Teil der Schultern schauten aus der Teppichrolle hervor. Das Gesicht war sehr blaß. Das blonde Haar umgab wirr den Kopf, und der Knebel klebte noch immer fest.
Sie war bei Bewußtsein, und sie schaute ihren Sohn mit einem Blick an, der nicht einmal einen großen Vorwurf beinhaltete, sondern mehr an Verständnislosigkeit erinnerte. Sie holte durch die Nase Luft, und jeder Atemzug war zu hören.
Jan zuckte mit den Schultern. »Es tut mir leid, Mutter, aber ich konnte einfach nicht anders. Versteh das, hier geht es um sehr wichtige Dinge. Du hättest sie nicht verstanden. Wenn sich Vater anders verhalten hätte, dann wären gewisse Dinge sicherlich anders gelaufen, so aber mußt du noch länger in deiner Lage bleiben, aber du wirst nicht sterben, das verspreche ich dir.«
In ihren Augen las er eine starke Bitte, um die er sich nicht kümmerte. Jetzt waren andere Dinge wichtiger. Er wandte sich ab und ging zu seinem Vater. Er mußte es besser wissen. Er hätte auch helfen können, aber er hatte es nicht gewollt. Es brachte nichts mehr, wenn er das Gespräch mit ihm suchte.
Jan blieb vor ihm stehen und schaute in seine trüben Augen hinein. Auf dem Gesicht klebte der kalte Schweiß. Die Lippen waren unter dem Klebeband verschwunden, und auch Peter Michels konnte nur schwer durch die Nase atmen. Eine Stelle an der rechten Stirn hatte sich blaugrün verfärbt, denn dort hatte ihn der Hieb getroffen. Bei Heike Michels war nichts zu sehen gewesen, denn sie hatte der Treffer am Hinterkopf erwischt.
Wäre Peter Michels frei gewesen, er hätte sich auf seinen Sohn gestürzt. Seine Versuche dessen waren zu sehen, aber der Teppich saß einfach zu fest, und so konnte er es nicht schaffen.
Jan grinste seinen Vater an. »Du hättest dir alles ersparen können, Vater. Du hättest nicht so arrogant oder so ängstlich sein dürfen. Ich hatte mit dir reden wollen. Wir beide hätten es vielleicht geschafft, Vater, aber du hast es nicht gewollt, verdammt. Es ist deine Schuld, daß du jetzt hier liegst. Das Biikenbrennen wird ohne dich über die Bühne laufen. Das letzte in diesem Jahrtausend. Nur noch heute hat der Pirat eine Chance, seine Rache zu vollenden. Und das wird er tun, ich weiß es genau.«
Der Pastor versuchte, Kontakt mit seinem Sohn aufzunehmen. Er rollte mit den Augen. Unter dem Knebel waren dumpfe Geräusche zu hören. Sein Gesicht rötete sich, was Jan mit einem Kopf schütteln quittierte.
»He, das solltest du nicht tun!« sagte er dann. »Denk daran, du kannst nur durch die Nase atmen. Ich schaue noch mal nach euch. Aber später.« Er wollte sich schon abdrehen, da fiel ihm noch etwas ein. »Ach ja, da hat jemand angerufen, der dich sprechen wollte. Ein gewisser John Sinclair. Hört sich nach einem Ausländer an. Muß wohl einer sein. Kennst du ihn?«
Peter Michels versuchte es mit
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