1098 - Das brennende Gesicht
stand offen. An der Fassung lehnte mit über der Brust verschränkten Armen in ach so cooler Haltung ein zweiter junger Mann.
»Ich bin Ole Gatz«, sagte er.
»John Sinclair.«
»Und ich bin ein Freund von Jan.«
»Wie schön.«
»Wo kommen Sie denn her?«
»Aus London.«
»Ho, irre Stadt.«
»Kennst du sie?«
»Wir waren zweimal da. London ist schwer trendy. Immer noch oder wieder geworden.«
»Da muß ich dir recht geben.«
»Okay, wir nehmen einen.« Er wies in die Küche und grinste mich schief und lauernd an.
Beide Jungen waren keine guten Schauspieler. Das merkte ich.
Sie taten so locker, als gäbe es nichts, was sie aus der Bahn hätte bringen können, das aber nahm ich ihnen nicht ab. Sie überspielten etwas. Möglicherweise auch ihre eigene Unsicherheit. Oder sie hatten etwas zu verbergen, das konnte auch sein.
Ich nahm das Angebot an und setzte mich auf einen Stuhl am viereckigen Tisch.
»Hol die Flasche, Jan.«
Der Junge mußte sie aus dem Schrank holen. Es war ein dänischer Schnaps, so etwas wie ein alter Korn. »Der weckt die Toten wieder auf!« erklärte Jan, als er die Flasche auf den Tisch stellte.
»Die möchte ich doch lieber in den Gräbern lassen«, sagte ich.
Ole Gatz schaute mich erstaunt an. »Soll das heißen, daß Sie kneifen wollen?«
»Ich trinke am frühen Morgen noch keinen Schnaps. Es tut mir leid. Da habe ich meine Prinzipien.«
»Ihr Problem.« Gatz grinste. »Wir beide nehmen einen.«
»Das steht euch frei.«
Gläser standen schnell auf dem Tisch. Jan Michels schenkte ein.
Ich beobachtete ihn von der Seite her und sah, daß seine rechte Hand zitterte. Die linke hatte er dabei zur Faust geballt. Jetzt erinnerte ich mich daran, daß er sie nie ausgestreckt hatte. Auch als ich in die Wohnung getreten war, hatte ich ihn mit zur Faust geballter Hand erlebt. Entweder konnte oder wollte er die Hand nicht strecken.
Beide tranken. Ole kippte den Schnaps mit einem Ruck in die Kehle. Sein Freund tat es in zwei Schlucken.
Ich wandte mich wieder an den Sohn des Pastors. »Wann kommt dein Vater wohl zurück?«
»Keine Ahnung. Er hängt in Westerland. Da hat er meine Mutter abgeholt. Wenn die noch einkaufen will, kann es dauern. Was wollen Sie denn von ihm? Sagen Sie es. Kann ja sein, daß wir Ihnen helfen können.«
»Ja, das ist möglich!« bestätigte Ole.
Ich tastete mich behutsam an das Thema heran. »Worum geht es wohl? Um das Biikenbrennen. Es sind ja viele Touristen auf der Insel, die es sich anschauen, und ich wollte es ebenfalls sehen. Im Hotel sagte man mir, daß der Pastor mehr wüßte. Er ist ein Fachmann, was auch die Historie des Biikenbrennens angeht. Wenn ich bei solchen und ähnlichen Festen dabei bin, möchte ich gern mehr über den Hintergrund erfahren. Den gibt es ja auch hier.«
»Klar, das hier ist berühmt«, sagte Ole. »Aber für die Vergangenheit interessiert sich kaum einer. Die Leute wollen die Feuer sehen und anschließend essen und trinken. Sich den Kanal nach dem fetten Grünkohl und der Wurst so richtig volllaufen lassen.«
»Das weiß ich«, gab ich zu. »Wißt ihr denn über die Historie Bescheid?«
»Etwas«, gab Jan zu.
»Das hat dir dein Vater erzählt?«
»Manchmal.«
»Und was hat er gesagt?«
»Das Brennen dauert zwei Tage. Am 21. und 22. Februar eines jeden Jahres. Man hat früher dem Gott Wotan ein Opfer gebracht. Und später wurde das Fest dann zu einem Abschied für die Seeleute, die zum Walfang fuhren.«
»Mehr weißt du nicht?«
»Nein. Da müßten Sie schon in den alten Chroniken nachlesen.«
»Die gibt es?«
»Klar.«
»Und dein Vater hat sie?«
Er nickte.
»Dann könnte ich mal einen Blick hineinwerfen – oder?«
Die beiden Jungen schauten sich an. Schnell nur, aber ich hatte aufgepaßt, und mir war auch das Grinsen des Ole Gatz nicht entgangen. Es deutete Zustimmung an, die auch von seinem Freund Jan aufgenommen wurde.
»Klar, wenn es Ihnen nichts ausmacht.«
»Überhaupt nicht.«
»Wir sollten in das Arbeitszimmer deines Vaters gehen«, schlug Ole Gatz vor.
Damit war Jan einverstanden. Zu dritt standen wir auf, und Jan Michels ging vor mir her. Weg aus der helleren Küche in die düstere Diele.
Auch Ole hatte sich erhoben. Ich wußte ihn hinter mir. Er trat zunächst fest auf, später, im Flur, jedoch nicht mehr. Da spürte ich plötzlich einen Luftzug, der meinen Nacken streifte und auch leicht über die Haare hinwegfuhr.
Mein Alarmsystem war perfekt eingestellt. Aus der Vorwärtsbewegung heraus
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