1099 - Der Werwolf und die Tänzerin
es schmerzte, da das Blut an den geschwollenen Stellen nicht richtig fließen konnte.
Es war eine Beschäftigung, die ich sehr lange durchführte. Erst als ich mich erschöpft fühlte, ließ ich es bleiben und sackte wieder auf meiner Unterlage zusammen.
Rücklings blieb ich liegen.
Der Blick war gegen die Decke gerichtet, die ich nicht einmal als dunkle Fläche sah. Es war kein Fenster eingebaut. Dieser Raum glich mehr einer Abstellkammer. Ich hatte auch keine Möbelstücke oder Werkzeuge gesehen, alles war leer, bis auf die wenigen Säcke am Boden, die mir eine relativ weiche Unterlage verschafften.
Licht gab es trotzdem.
Unter der Tür stahl sich ein schmaler Streifen hindurch.
Madeleine und ihr ungewöhnlicher Liebhaber nebenan sprachen miteinander. Der Werwolf konnte nicht reden. Hin und wieder hörte ich ihn knurren. Jedesmal redete die Stimme der Frau beruhigend auf ihn ein. Vermutlich wollte er Beute haben, und die lag greifbar in seiner Nähe. Aber Madeleine ließ ihn nicht an mich heran.
Es verstrich viel Zeit, und ich schrak zusammen, als ich nebenan einen dumpfen Laut hörte. Beinahe schon ein Knall. Da war die zweite Tür erst auf-, dann zugeschlagen worden.
Ich hatte Besuch bekommen, der allerdings durch die Wand von mir getrennt war.
Zunächst passierte nichts. Eine drückende Stille umgab mich, bis ich plötzlich das Kratzen und zugleich auch wilde Stampfen hörte. Auf dem Boden stießen die Füße hin und her. Nägel oder Krallen glitten über die Wände hinweg. Ich bekam das schreckliche Heulen mit, das Knurren und wieder das Stampfen und Kratzen.
Der Werwolf tobte.
Den Grund kannte ich.
Die Nacht stand kurz davor, sich zu verabschieden. Damit war auch die Phase der Bestie vorbei. Der Mond würde erst am Abend wieder aufgehen. So verwandelte sich die Bestie zurück in einen normalen Menschen, was mit sehr starken Schmerzen verbunden war. Er hatte zu leiden, was ich sehr gut hörte.
Keuchen, Jammern, Schreien - dazwischen immer wieder die harten Schläge gegen den Boden oder die Wand. In seinem Zimmer mußte der Veränderte regelrecht herumtoben, sich von einer Seite auf die andere werfen und fast durchdrehen.
Mehrere Male schlug er gegen die Wand, die unsere Räume voneinander trennten. Sie war nicht so schwach, wie ich sie eingeschätzt hatte. Sie hielt stand. Ich hörte kein Knirschen und auch kein Brechen, aber die Schläge nahmen auch an Kraft ab.
Ein letztes langgezogenes Heulen war noch zu hören. Es folgte ein hartes Kratzen und Schaben, als die Krallen an der Wand nach unten glitten.
Dann war es still.
Ob draußen der Tag angebrochen und wie hell es dort war, wußte ich nicht. Ich blieb in der eingetretenen Stille liegen und hörte auch nichts von Madeleine Bishop. Mir kam es vor, als hätte sie das Haus schon in der Nacht verlassen.
Für mich begann wieder das Warten. Verbunden mit einer großen Unruhe, die ich nicht in den Griff bekam.
Von nebenan hörte ich nichts.
In diesem Raum schien sich niemand aufzuhalten. Es war kein Atemstoß zu vernehmen, und es bewegte sich auch keine Gestalt über den Boden und auf die Wand zu.
Aber die Stille hielt nicht lange an. Schritte bekam ich nicht mit. Dafür eine Flüsterstimme. Ich erkannte schnell, daß sie einem Mann gehörte, und er bewegte sich auch durch den Raum. Diesmal lauschte ich den Tritten.
Sie stoppten sehr schnell.
Danach wurde ich auf ein quietschendes Geräusch aufmerksam. Jemand mußte eine Tür geöffnet haben.
Es war nicht die Frau. Es war der Werwolf gewesen oder der ehemalige. Ich hörte ihn außerhalb des kleinen Raumes gehen. Er tappte hin und her. Wahrscheinlich mußte er sich noch an sein neues Dasein gewöhnen. Die Nachwirkungen der zweiten Gestalt waren nicht so einfach abzuschütteln.
Er tat nichts, was mich in Verlegenheit gebracht hätte. Ich wußte auch nicht, ob ich mich darüber freuen sollte, daß dieser Werwolf frei war. Wie würde er als Mensch reagieren, wenn er die Tür zu meiner Kammer öffnete und mich sah?
Die Tänzerin war anscheinend nicht da. Sie vertraute auf ihren Geliebten.
Ich konzentrierte mich auf die Außengeräusche.
Er kam.
Er kam auf meine Tür zu.
Ich hörte ihn sogar durch das Holz atmen. Noch traute er sich nicht, die Tür zu öffnen, um nachzuschauen. Lange würde es nicht mehr dauern, da war ich mir sicher.
Es war zu dunkel, um eine Klinke oder einen Knauf sehen zu können. Ich hatte mich etwas nach rechts gedreht, damit ich die Tür im Auge behielt, wenn sie
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