11 - Die Helden des Westens
„Steigt ab und legt eure Waffen von euch! Wir warten nicht.“
Fünfzig Paar Augen waren finster auf die Weißen gerichtet, und fünfzig rotbraune Hände lagen an den Messern. Old Shatterhand und Winnetou hätten sich wohl nicht ergeben; aber der lange Davy war der erste, der von seinem Maultier stieg.
„Tut ihm den Willen“, sagte er zu seinen Gefährten. „Wir müssen Zeit gewinnen. Die Unsrigen kommen ganz gewiß, um uns zu befreien.“
Da stiegen die anderen auch ab und übergaben ihre Waffen. Wohkadeh war nicht mit hereingekommen, wie bereits erwähnt wurde. Er sah von draußen, daß seine Gefährten umzingelt wurden, und trieb sofort sein Pferd zur Seite, um nicht durch die Eingangsöffnung gesehen zu werden. Dann sprang er ab, legte sich auf den Boden und schob den Kopf nur so weit vor, daß die Augen Freiheit bekamen, in den Hof zu blicken.
Was er sah, erfüllte ihn mit Bestürzung. Er erkannte den Häuptling. Es war Hong-peh-te-keh, der ‚Schwere Mokassin‘, der Anführer der Sioux-Ogellallah. Er erkannte auch die anderen. Es waren die sechsundfünfzig Ogellallah, zu denen er gehört hatte und denen er entflohen war. Der Weiße, der ihnen hier in die Hände fiel, in der Nähe des Häuptlingsgrabes, war sicherlich verloren, wenn ihm nicht von außen her Rettung wurde.
Was sollte er tun? So fragte sich der wackere Wohkadeh. Schnell nach dem See zurückreiten, um Old Shatterhand mit den Seinen zu holen? Nein. Es kam ihm ein besserer Gedanke. Derselbe war zwar außerordentlich kühn, gab aber doch wenigstens eine kleine Hoffnung auf Erfolg. Er wollte hinein zu den Ogellallah; er wollte riskieren, von ihnen in Stücke zerrissen zu werden. Er mußte sie belügen. Begriffen die Weißen seine Absicht, ohne daß er sie ihnen zu erklären brauchte, und richteten sie ihre Aussagen danach ein, so war es möglich, einen Erfolg zu erzielen.
Er bedachte sich nicht länger. Es war ein wahres Heldenstück, welches auszuführen er sich vorgenommen hatte; aber was würden Winnetou und Old Shatterhand, seine beiden Ideale, sagen, wenn sie davon hörten!
Dieser Gedanke verdoppelte seine Kühnheit. Er stieg auf sein Pferd und ritt in den Hof, die unbefangenste Miene zeigend, die es nur geben kann.
Soeben sollten die vier Gefangenen gefesselt werden. Zwei, drei Lançaden seines Pferdes, und er hielt vor ihnen.
„Uff!“ rief er mit lauter Stimme. „Seit wann schlingen die Krieger der Sioux-Ogellallah Fesseln um die Hände ihrer besten Freunde? Diese Bleichgesichter sind die Brüder Wohkadehs!“
Sein plötzliches Erscheinen erregte allgemeines Staunen. Doch machte sich das letztere nur durch einige halblaute, kurze Ausrufe Luft. Der ‚Schwere Mokassin‘ zog die Brauen finster zusammen, musterte mit stechendem Blick die ganze Erscheinung des Kriegers und antwortete:
„Seit wann sind die weißen Hunde die Brüder der Ogellallah?“
„Seit sie Wohkadeh das Leben gerettet haben.“
Der Häuptling bohrte seinen Blick förmlich in denjenigen Wohkadehs. Dann fragte er:
„Wo ist Wohkadeh bisher gewesen? Warum ist er nicht zurückgekehrt zur richtigen Zeit, als er ausgesendet wurde, nach den Kriegern der Schoschonen zu spähen?“
„Weil er gefangen wurde von den Hunden der Schoschonen. Diese vier Bleichgesichter aber haben für ihn gekämpft und ihn gerettet. Sie haben ihm einen Weg gezeigt, welcher schnell und leicht nach dem Yellowstone führt, und sind mit ihm gegangen, die Pfeife des Friedens mit dem ‚Schweren Mokassin‘ zu rauchen.“
Die Lippen des Häuptlings umzuckte ein höhnisches Lächeln.
„Steig vom Pferde und tritt zu deinen weißen Brüdern!“ gebot er. „Du bist unser Gefangener, gerade wie sie.“
Der kühne rote Knabe machte ein sehr erstauntes Gesicht. Er antwortete:
„Wohkadeh der Gefangene seines eigenen Stammes? Wer gibt dem ‚Schweren Mokassin‘ das Recht, einen Krieger seiner Nation gefangenzunehmen?“
„Er nimmt sich dieses Recht selbst. Er ist der Anführer dieses Kriegszuges und kann tun, was ihm beliebt.“
Da nahm Wohkadeh sein Pferd hoch in die Zügel, gab ihm die Fersen in die Weichen und zwang es, eine volle, schnelle Kreiswendung auf den Hinterbeinen zu machen. Da es dabei mit den Vorderhufen ausschlug, mußten diejenigen Sioux-Ogellallah, welche sich zu nahe an ihn herangedrängt hatten, von ihm zurückweichen. Er bekam Platz. Jetzt legte er die Zügel auf den Hals des Pferdes, so daß er auch die linke Hand frei bekam, ergriff seine Büchse, so daß er sie
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