11 - Die Helden des Westens
Dann kehrten sie zurück.
Tokvi-tey trat auf sie zu und fragte: „Was gedenken meine Brüder nun zu tun?“
„Wir wissen“, antwortete Old Shatterhand, „daß unsere roten Brüder ebenso gut eine Stimme haben wie wir. Darum werden wir die Pfeife der Beratung rauchen. Vorher aber will ich mit Hong-peh-te-keh, dem Häuptling der Sioux-Ogellallah, sprechen.“
Er stieg wieder vom Pferd, ebenso Winnetou. Es wurde ein Kreis um den Gefangenen gebildet. Old Shatterhand trat zu dem letzteren und sagte:
„Der ‚Schwere Mokassin‘ ist in die Hände seiner Feinde geraten, und auch die Seinigen sind verloren, denn sie sind von den Felsen und von uns eingeschlossen. Sie vermögen nicht zu fliehen und werden von unseren Kugeln sterben, wenn der Häuptling der Ogellallah nicht etwas tut, um sie zu retten.“
Er hielt inne, um zu sehen, ob der ‚Schwere Mokassin‘ ein Wort sagen werde; da dieser aber sich geschlossenen Auges und still verhielt, so fuhr er fort:
„Mein roter Bruder mag mir sagen, ob er meine Worte verstanden hat!“
Der Rote öffnete die Augen, warf ihm einen haßerfüllten Blick zu und spuckte aus. Das war seine Antwort.
„Glaubt der Häuptling der Ogellallah ein räudiges Tier vor sich zu haben, daß er auszuspucken wagt?“
„Wakon kana – alte Frau!“ knirschte der Gefragte.
Das war eine große Beleidigung für Old Shatterhand und sämtliche Anwesenden. Vielleicht hatte der Ogellallah die Absicht, den Zorn seiner Feinde so zu reizen, daß er von ihnen in vorschnellem Grimm getötet wurde und so dem langsamen Martertod entging. Aber Old Shatterhand antwortete ruhig lächelnd:
„Der ‚Schwere Mokassin‘ ist blind geworden. Er kann einen starken Krieger nicht von einem altersschwachen Weib unterscheiden. Darum habe ich Mitleid mit ihm.“
„Kot-o pun-krai schonka – tausend Hunde!“ zischte der Gefangene.
Es gibt fast keine größere Beleidigung für einen tapferen roten Krieger, als wenn ihm jemand versichert, daß er Mitleid mit ihm habe. Darum war der Indianer so ergrimmt über Old Shatterhands letzte Worte, daß er ihm als gleichwertige Beleidigung eine tausendfache Hündischkeit in das Angesicht schleuderte.
Einige der umstehenden Roten ließen ein zorniges Murren hören. Old Shatterhand warf ihnen einen strengen Blick zu und bückte sich dann wieder, um zu aller Erstaunen und ganz besonders zur höchsten Verwunderung des Gefangenen dessen Fesseln zu lösen.
„Der Häuptling der Ogellallah soll erkennen“, sagte er, „daß weder ein altes Weib noch ein Hund, sondern ein Mann zu ihm redet. Er mag sich vom Boden erheben!“
Der Indianer stand auf. Sosehr er gewöhnt war, seine Züge zu beherrschen, er konnte doch die Verlegenheit nicht verbergen, in welcher er sich befand. Anstatt auf seine beleidigenden Worte mit Fußtritten und Faustschlägen zu antworten, machte man ihn von den Fesseln frei! Das konnte er nicht begreifen. Er war sehr geneigt, Old Shatterhand für wahnsinnig zu halten.
„Öffnet den Kreis!“ befahl dieser den umstehenden Kriegern.
Diese traten näher zusammen, so daß der Sioux in das Innere des Talkessels blicken konnte. Er sah die Seinen hinter dem Häuptlingsgrab halten. An ihren Bewegungen war zu erkennen, daß sie sich lebhaft berieten. Sein Auge leuchtete auf. Er war nicht mehr gefesselt und besaß einen hohen Ruhm als unübertrefflicher Läufer. Konnte er nicht davonspringen? Im günstigen Fall erreichte er seine Sioux; im ungünstigen wurde er erschossen, und das war doch immer besser als der Martertod.
Old Shatterhand hatte dieses Aufleuchten des Blickes gar wohl bemerkt. Er sagte:
„Der ‚Schwere Mokassin‘ gedenkt, uns zu entfliehen. Er mag das unterlassen. Sein Name sagt uns, daß er eine große Fährte mache, unsere Füße aber sind leicht wie die Schwingen der Schwalbe, und unsere Kugeln verfehlen niemals ihr Ziel. Er mag mich anschauen und mir sagen, ob er mich kennt!“
„Hong-peh-te-keh blickt keinen lahmen Wolf an!“ knurrte der Wilde.
„Ist Old Shatterhand ein lahmes Tier? Steht dort nicht Winnetou, der Häuptling der Apachen, dessen Name berühmter ist als irgendeiner der Sioux-Ogellallah und aller anderen Siouxvölker?“
„Uff!“ entfuhr es dem Gefangenen.
Diese beiden Männer vor sich zu haben, hatte er nicht erwartet. Während sein Blick von dem einen zum anderen flog, zeigte sich ein nicht zu unterdrückender Ausdruck der Ehrfurcht in seinem Gesicht. Old Shatterhand fuhr fort, die, welche er nannte, mit der
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