11 - Die Helden des Westens
Mutter so geräuschvoll eingetreten sei, weil sie Holz auf den Armen habe, drehte ich mich gar nicht um, sondern sagte nur: ‚M'a, das ist für Luddy und mich. Dann kommst auch du mit P'a (P'a und M'a sind Abkürzungen von Papa und Mama) dran.‘
Anstatt ihrer Antwort hörte ich ein tiefes, tiefes Brummen. Ich drehte mich um. Nun müßt Ihr wissen, daß es noch nicht Tag war, aber draußen leuchtete der Schnee, und auf dem großen Herd brannte ein Holzklotz, dessen Flamme die Stube erleuchtete. Was ich beim Schein derselben erblickte, war allerdings gräßlich. Gerade vor der armen Luddy, welche vor Entsetzen keinen Laut hervorbrachte, stand ein riesiger grauer Bär. Sein Fell war mit Eis bezottelt und sein Atem dampfte. Das sprachlose Schwesterchen hielt ihm bittend die hölzerne Puppy entgegen, als wollte es sagen: ‚Da, nimm meine Puppe, aber tu nur mir nichts, du böser, lieber Bär!‘ Aber der Grizzly hatte kein Erbarmen. Mit einem Tatzenschlag warf er Luddy nieder, und dann zermalmte er ihr mit einem einzigen Biß das kleine, süße, blonde Köpfchen. Ihr müßt nämlich wissen, Mesch'schurs, daß der erste Biß des Bären stets nach dem Kopf seines Opfers geht, denn das Gehirn ist sein größter Leckerbissen. Noch heute höre ich das Malmen und Krachen – heavens, ich kann es nicht vergessen, nie, nie – – –!“
Er hielt in seiner Erzählung inne. Keiner unterbrach die eingetretene Stille, bis er fortfuhr:
„Auch ich konnte mich vor Entsetzen nicht bewegen. Ich wollte um Hilfe rufen, brachte aber keinen Laut hervor. Ich sah die Glieder des Schwesterchens im Rachen des Untieres verschwinden, bis nichts mehr übrig war als die hölzerne Puppy, welche zu Boden gefallen war. Ich hatte das lange Messer krampfhaft in der Hand; ich wollte vom Tisch herabspringen, um mit dem Bären um das Leben Luddys zu kämpfen; aber ich war ja vom Schreck gelähmt. Nun jetzt kam er auf mich zu und richtete sich mit den Vorderpranken an dem Tisch empor. Gott sei Dank! In diesem Augenblick erhielt ich den Gebrauch meiner Glieder wieder. Sein schrecklicher, penetranter Atem stank mir bereits in das Gesicht, da nahm ich das Messer zwischen die Zähne, umfaßte den Balken mit den Armen und schwang mich auf denselben hinauf. Er wollte mir nach und riß dabei den Tisch um. Das war meine Rettung.
Jetzt nun rief ich freilich auch um Hilfe, doch vergebens: die Mutter kam nicht, obgleich sie meine Stimme hören mußte, denn die Tür stand offen und ein kalter Luftstrom drang herein. Der Grizzly richtete sich in seiner ganzen Länge auf, um mich vom Balken herabzuholen. Ihr habt seinen Pelz gesehen und müßt es mir also glauben, wenn ich euch sage, daß er mich mit seinen Vordertatzen ganz gut erlangen konnte. Aber ich hatte das Messer in der Hand, hielt mich mit der Linken fest an und stach mit der Rechten nach der Pranke, welche er nach mir ausstreckte.
Was soll ich euch den Kampf beschreiben, meinen Jammer und meine Angst! Wie lange ich mich verteidigt habe, weiß ich nicht; in einer solchen Lage wird eine Viertelstunde zur Ewigkeit; aber meine Kräfte schwanden, und beide Vordertatzen des Bären waren vielfach zerstochen und zerschnitten, als ich trotz seines Brummens und Heulens das Bellen unseres Hundes hörte, den der Vater mitgenommen hatte. Draußen vor der Hütte erhob er seine Stimme, wie ich noch niemals die Stimme eines Hundes gehört habe; dann kam er hereingestürzt und warf sich augenblicklich auf das riesige Raubtier. Ein jeder von euch ist wohl einmal Zeuge eines Kampfes mehrerer Hunde gegen einen Bären gewesen. Aber ein einzelner Hund gegen einen solchen Grizzly, ohne daß sein Herr mit der Büchse und dem Messer dabei anwesend ist, das solltet ihr sehen und auch hören. Ihr wißt, daß die wild gewordenen Hunde in den Staaten eine wahre Landplage geworden sind. Sie dezimieren die Schafherden. In Ohio allein rechnet man, daß jährlich gegen sechzigtausend Schafe durch diese gefräßigen, herrenlosen Tiere zu Grunde gehen, in den Vereinigten Staaten überhaupt aber jährlich eine halbe Million. Diese Hunde zeichnen sich durch eine ungeheure Kühnheit aus; sie gehen selbst dem Bären zu Leibe. Einen solchen hatten wir an uns gewöhnt und gezähmt. Er war ein häßlicher Köter, aber ungemein stark und uns treu ergeben. Als er sich jetzt auf den Bären warf, heulte er nicht, sondern er brüllte förmlich auf wie ein Raubtier. Er faßte ihn bei der Kehle, um sie ihm zu zerreißen; der Bär aber zerfleischte
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