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11 - Die Helden des Westens

11 - Die Helden des Westens

Titel: 11 - Die Helden des Westens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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höchsten Spitzen der Äste übersprängen.
    Und jetzt richteten sich plötzlich alle auf, es war ein Ton erklungen, ein ganz eigenartiger Ton, wie von einer Glocke, welche hoch, hoch über ihnen angeschlagen worden sei. Er hielt wohl eine halbe Minute nach, senkte sich, immer mehr anschwellend, auf die Büsche nieder und war dann über dem Wasser verklungen.
    „Was war das?“ fragte Ben. „Es gibt doch hier keine Kirche mit Glocken! Wenn ich nicht wüßte, daß – – –“
    Er hielt inne. Ein zweiter Ton erklang höher als der erstere. Es war, als ob er aus einer mächtigen Posaune geblasen werde. Er schwoll langsam an, wieder ab und verhauchte in einem Diminuendo, welches selbst ein Posaunenvirtuose nicht fertiggebracht hätte.
    „Das ist Yalteh yuavh-kai, die Stimme des singenden Tales“, erklärte der Häuptling der Apachen.
    „Das ist's, also das!“ sagte der Bärenjäger. „Horch!“
    Es ging wie ein leiser Seufzer durch die Luft. Dieser Seufzer wurde zum bestimmten Ton von außerordentlicher Reinheit. Er hatte die Klangfarbe der achtfüßigen Prinzipalpfeife einer Orgel, hielt eine Weile aus, und dann erklang über ihm ein zweiter, sanfterer Ton, welcher noch aushielt, als der erstere nicht mehr zu hören war.
    Diese Schallerscheinung war ganz sonderbarer Art. Es konnte einem dabei grauen, und doch war sie von einer Erhabenheit, welche das Gemüt ergriff. Es war, als ob ein unsichtbarer, riesenhafter Bläser sein Instrument probiere, aber freilich ein Instrument, welches in keiner Orchestrologie verzeichnet ist.
    Still lauschten die Männer, ob das Phänomen sich wiederholen werde. Und wirklich, es strich ein fühlbarer Luftzug über und durch das Buschwerk und brachte eine ganze Reihe von Tönen getragen, welche sich schnell folgten und in außerordentlicher Reinheit miteinander harmonierten. Sie waren von verschiedener Zeitdauer. Die tieferen hatten eine größere Länge und bildeten mit den höheren, schneller verklingenden eine Harmoniefolge, welche stets aus denselben Tönen der natürlichen Tonleiter bestand, aber in den verschiedensten Umkehrungen des Dreiklangs, Sept- und Nonakkordes.
    Es gab nichts, was man mit diesen Klängen in einen Vergleich stellen konnte. Kein bekanntes Instrument konnte Töne von dieser erhabenen Majestät erzeugen, zu denen sich andere gesellten, welche der zartesten Kehle, den sanftesten Lippen zu entstammen schienen.
    Bald klang es im tiefsten Majestoso, wie aus einer sechzehn- oder gar zweiunddreißigfüßigen Orgelpfeife; darüber hinweg schwebte es hoch, mild und klar wie eine Vox humana oder Aeoline, und zwischen diesen beiden wechselten in verschiedener Höhe und ergreifendem Ausdruck die Stimmen des Kornett, der Posaune, der Gambe, des Akkordions ab. Bald klang es offen und hell, bald in leisem Gedeckt, und doch sind alle diese Kunstbezeichnungen nicht imstande, einen Begriff von der Natur, Farbe und Wirkung dieser Töne zu geben, welche das ganze Tal erfüllten und bald, wie zu einem tiefen, schmalen Strome vereint, hoch über demselben hinfluteten.
    Die Lauschenden wagten nicht zu sprechen. Selbst die beiden gewissenlosen Mexikaner fühlten sich gepackt. Sie befanden sich unter der mächtigen Domeskuppel des Himmels, welchen die umstehenden, gerade aufragenden Felsen zu tragen schienen. Von einem unsichtbaren Orgelchor erklangen Töne, jetzt wie Donner-, dann wieder wie Engelsstimmen, hier wie der tiefe, grollende Ruf der Brandung, dort wie Sphärentöne, in einer besseren und reineren Welt entstanden. Selbst das roheste Gemüt hätte sich eines heiligen Schauderns nicht zu erwehren vermocht.
    Und dazu trat jetzt eine andere Erscheinung, welche nicht mit dem Ohr sondern mit dem Auge wahrgenommen wurde.
    Es war, als ob der Himmel höher, entfernter geworden sei. Die wenigen Sterne, welche an demselben standen, schienen kleiner als sonst zu sein. An diesem Himmel, da wo er südwärts scheinbar auf dem Felsen ruhte, erschien jetzt plötzlich eine hellgelb strahlende Scheibe von der Größe des Vollmondes. Ihr Umfang war zunächst scharf abgegrenzt. Sie bewegte sich, scheinbar langsam und nicht bogenförmig über den Himmel hin, sondern sie schien aus der Sternenwelt hervorzubrechen und in schnurgerader Richtung und immer größer werdender Geschwindigkeit gerade auf das Tal loszukommen.
    Je weiter sie sich näherte, desto mehr vergrößerte sie sich und desto deutlicher war zu sehen, daß es nicht ein flache Scheibe, sondern eine volle Kugel war.
    Die

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