11 - Die Helden des Westens
sich das Klettern mit der Gesundheet verträgt, sondern man klettert eben, und zwar mit wachsender Leidenschaft, grad so wie ich. Unglücklicherweise war, wie bereits erwähnt, der Schtamm zu glatt. Ich kam nich ganz hinauf bis zu den Ästen, und mit dem Festhalten schien es ooch seine Schwierigkeiten zu haben.“
„O weh! Das kann gefährlich werden. Sie waren ohne Waffen. Was tat denn der Bär?“
„Etwas, was er mit gutem Gewissen hätte unterlassen können – er kam nämlich nachgeklettert.“
„Ah, so war es glücklicherweise kein Grizzly!“
„Das berührte mich nich, denn damals war Bär Bär für mich. Ich klammerte mich krampfhaft fest und schaute herab. Richtig, der Kerl hatte sich unten am Schtamme offgerichtet, umarmte denselben und kam langsam und gemütlich nachgeklettert. Die Sache schien ihm ungeheuren Schpaß zu machen, denn er brummte höchst vergnügt vor sich hin, ungefähr wie eene schnurrende Katze, nur schtärker, oder wie die E-Saite des Violonbasses, wenn sie pizzicato mit den Fingern gerissen wird. Mir aber brummte nich bloß der Kopf, sondern der ganze Körper von der Anschtrengung, mich festzuhalten. Der Bär kam immer näher. Ich konnte unmöglich länger an meiner Schtelle bleiben; ich mußte weiter hinauf. Kaum aber hatte ich die eene Hand gelöst, um weiter zu greifen, da verlor ich den Halt. Zwar griff ich schnell wieder zu, doch die Anziehungskraft der mütterlichen Erde ließ ihr Opfer nich wieder los. Noch eenen kurzen, angstvollen Schtoßseufzer konnte ich mir geschtatten, dann aber fuhr ich am Schtamme hernieder, mit Vehemenz wie een zwanzigzentriger Schtahlhammer, mit solcher Wucht off den Bären, daß er ooch mit nunter mußte. Er schoß zu Boden, und ich off ihn druff.“
Der kleine Mann erzählte so lebhaft und drastisch, daß seine Zuhörer ganz Ohr waren und bei der Art und Weise, in welcher er seinen Unfall schilderte, in ein laut schallendes Gelächter ausbrachen.
„Ja, lacht nur“, brummte er. „Mir war es ganz und gar nich wie Lachen. Ich hatte das Gefühl, als ob alle Teile meines Körpers durcheinandergeschtoßen worden seien. Es war mir ganz taub und dumm zumute, sodaß ich für eenige Sekunden gar nich an das Offschtehen dachte.“
„Und der Bär?“ fragte Jemmy.
„Was der in diesem Oogenblicke für finanzielle Schpekulationen in seinen Gedanken erörtert hat, das kann ich nich wissen. Ich hatte weder die nötige Zeit noch die gehörige Andacht, mich wie Mentor mit Telemach in Zwiesprache mit ihm zu setzen. Vielleicht aber war es ihm grad so salonwidrig zumute wie mir, denn er lag ganz ebenso schtille unter mir, wie ich schprachlos off ihm saß. Dann aber raffte er sich plötzlich empor, und das brachte mich zur Erkenntnis meiner persönlichen Verpflichtungen. Ich schprang off und rannte fort – er hinter mir her, ob aus gleicher Angst wie ich oder in dem heeßen Wunsche, die eenmal angeknüpfte Bekanntschaft mit mir fortzusetzen, das weeß ich nich. Eegentlich wollte ich hin nach der Tür und ins Haus hinein. Dazu war aber die Zeit zu kurz und der Bär mir zu nahe. Die Angst verlieh mir die Schnelligkeet eener Schwalbe; es war, als ob sie mir die Länge meiner Beene verdoppelt und vervierfacht hätte. Ich schoß vorwärts wie eene Flintenkugel, um die Hausecke hinum und – in die Lehmgrube hinein, grad bis unter die Arme. Ich hatte alles vergessen, Himmel und Erde, Europa und Amerika, alle meine Kenntnisse und den ganzen Lehm; ich schtak drin wie die Schabe im Bäckerteig und – da tat es neben mir eenen gewaltigen ‚slap‘ wie der Amerikaner sich ausdrückt; ich erhielt eenen Schtoß wie vom Puffer eines Bahnwagens, und der Lehm flog mir über dem Kopfe zusammen. Das Gesicht war ganz von demselben überzogen; nur das rechte Ooge war frei geblieben. Ich drehte mich um und – schielte den Bären an, der infolge seines leichtsinnigen Temperamentes vergessen hatte, das Terrain, wie es sich schickt und gehört, zu inschpizieren, und mir also nachgeschprungen war. Nur sein Kopf war zu sehen, aber der sah ooch schauderhaft aus. Wenn meine zwee Gesichtsprofile ebenso belehmt waren wie die seinigen, so konnte freilich keener von uns beeden off die Hochachtung des anderen Anschpruch erheben. Wir blickten uns drei Sekunden lang eenander lieblich an; dann wendet er sich nach links und ich mich nach rechts, jeder in der lobenswerten Absicht, in eene freundlichere Umgebung zu gelangen. Natürlich ging bei ihm das Herausklettern schneller als bei
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