11 - Die Helden des Westens
Schildkröte vorüberritten? Ich erzählte, daß ich an diesem Berg einmal mit dem Upsarokakrieger Schunka-schatscha gelagert habe. Er erzählte mir viel von seinem Stamm. Dabei erwähnte er mit großem Stolz seines berühmten Bruders Kanteh-pehta, zu deutsch: ‚Feuerherz‘.“
„Meinte er etwa den großen, berühmten Medizinmann der Krähenindianer?“
„Denselben. Er erzählte mir die Taten dieses seines Bruders und beschrieb mir auch die Person desselben. Er schilderte ihn mir als einen wahren Riesen von Gestalt, dem das linke Ohr fehle. Kanteh-pehta hat einst im Kampf mit den Sioux-Ogellallah einen Tomahawkhieb bekommen, welcher ihm das Ohr vom Kopf trennte und ihn dann noch tief in die Achsel verwundete. Nun seht Euch doch einmal diesen gigantischen Upsaroka an! Ihm fehlt das linke Ohr, und aus der Haltung seines linken Armes ersehe ich, daß er da einmal verletzt worden sein muß.“
„Alle Wetter! Das wäre freilich ein ganz besonderes Zusammentreffen! Aber dann bangt mir doch um Euch, Sir. Ihr seid zwar der tüchtigste Kerl, den es nur geben kann; aber dieser Kanteh-pehta ist noch nie besiegt worden. An Körperstärke ist er Euch unbedingt überlegen, während ich freilich überzeugt bin, daß er es in Beziehung auf Gewandtheit mit Euch nicht aufzunehmen vermag. Wenn man mit dem einen Arme an den Baum gebunden ist, gibt die Stärke, aber wohl nicht die Gewandtheit den Ausschlag, und darum meine ich, daß man eher auf ihn als auf Euch wetten kann.“
„Nun“, lächelte Old Shatterhand, „wenn Ihr so besorgt um mich seid, so gibt es ein sehr einfaches Mittel, mich vom sicheren Untergang zu retten.“
„Welches ist es?“
„Ihr kämpft an meiner Stelle mit der Krähe.“
„Heigh-ho! Das fällt mir freilich nicht ein! Ich habe sonst gar keine zarten Nerven, aber dem Tode geradezu in die Arme zu laufen, das ist doch nicht nach meinem Geschmack. Übrigens habt Ihr die Suppe eingebrockt, Sir, und nun mögt Ihr sie auch mit Appetit genießen. Ich wünsche Euch von ganzem Herzen eine gesegnete Mahlzeit!“
Er hielt sein Pferd um einige Längen zurück, um die unangenehme Offerte nicht noch einmal zu bekommen. An seiner Stelle dirigierte Winnetou seinen Rappen an Old Shatterhands Seite.
„Mein weißer Bruder hat Kanteh-pehta, den Medizinmann der Upsarokas, erkannt?“ fragte er.
„Ja“, nickte der Gefragte. „Und die Augen meines roten Bruders waren ebenso scharf wie die meinen?“
„Die Krähe hat nur ein Ohr. Winnetou hat ihr Gesicht noch nie gesehen; aber der ‚Tapfere, welcher Medizin sucht‘, kann den Häuptling der Apachen nicht täuschen. Ich habe vernommen, was mein Bruder mit ihm gesprochen hat, und ich bin bereit zum Kampfe.“
„Ich habe allerdings auf den Häuptling der Apachen gerechnet, denn ich möchte keinem anderen diese Ehrensache anvertrauen.“
„Wird mein Bruder die große Krähe töten?“
Also bei Winnetou gab es nicht den mindesten Zweifel darüber, daß Old Shatterhand Sieger sein werde.
„Nein“, antwortete der Gefragte. „Die Upsaroka sind Feinde der Sioux-Ogellallah. Wenn wir sie schonen, werden sie unsere Verbündeten sein.“
„So mag auch der andere leben bleiben. Man soll von Winnetou nicht sagen, daß sein weißer Bruder gnädiger gesinnt sei als er.“
Der Trupp hatte von dem Cañon aus vielleicht eine englische Meile zurückgelegt, als das Tal plötzlich sich erweiterte. Die Reiter gelangten an eine kleine, rings von Bergen eingeschlossene Prärie, wie es dort so viele gab. Es gab da hageres Gras und einzelne Büsche. Nur ein einzelner Baum war auf der Ebene zu sehen. Es war eine ziemlich hohe Linde von der Gattung, welche wegen ihrer großen, weißhaarigen Blätter von den Indianern sonorischer Zunge Muh-manga-tu-sahga, d.i. Weißblattbaum, genannt wird. .
„Mawa – dort!“ sagte der Anführer der Krähenindianer, indem er nach dem Baume deutete.
„Howgh!“ nickte Winnetou, indem er sein Pferd im Galopp der Linde zulenkte.
Die anderen folgten nach dem Ort, an welchem der Zweikampf vor sich gehen sollte.
Die Spannung, in welcher sich alle befanden, war natürlich keine geringe, wenn auch keiner sich das merken ließ. Die größte innerliche Ruhe fühlten gerade diejenigen drei, welche wußten, daß sie zu den Kämpfenden gehören würden, Winnetou, Old Shatterhand und Oiht-e-keh-fa-wakon, denn ein jeder von ihnen war überzeugt, daß er siegen werde.
Alle sprangen ab. Die Pferde wurden freigelassen, und die Reiter lagerten sich,
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